Freitag, 23. August 2013

Vom echten und dem erfundenen Mann

Schwierig wurde es für mich als Frauenroman-Autorin, als der erste Mann in meine fiktionale Wohngemeinschaft einziehen musste. Sind alle weiblichen Figuren in solchen Büchern natürlich immer mit Stärken und Schwächen ausgestattet, so sieht das bei den männlichen schon anders aus. Denn die Frauen der Geschichte müssen als Identifikationsfiguren dienen können, wenn der Roman funktionieren soll. Die Leserinnen wollen sich ja schließlich wiederfinden. Die Männer allerdings unterliegen da etwas anderen Kriterien. Denn bei ihnen sollen Protagonistinnen wie Leserinnen idealerweise ins Schwärmen kommen.
Trotzdem ist der ideale Romanmann natürlich keineswegs einer ohne Ecken und Kanten. Welche Frau will schon einen Partner, neben dem sie sich immer nur unzulänglich fühlen wird? Und welchen Mann würde eigentlich meine Mitbewohnerin Marie toll finden? Die mit den Stärken und Schwächen, in der sich die Leserin wiederfinden soll. Womit wir wieder beim Publikum wären...
Was also steht in einer Annonce mit der Überschrift „Männlicher Mitbewohner gesucht“? Zunächst einmal „gutaussehend“. Das ist ja sowieso klar. Aber da es auf diesem Gebiet bei den Frauen dieser Welt die unterschiedlichsten Idealvorstellungen gibt, kann man einen Teil des Aussehens getrost der Phantasie der Leserin überlassen. Ein paar Eckdaten werden vorgegeben, der Rest entsteht in den Köpfen. Bei Charakter und Verhalten wird es da schon schwieriger. Das kann man ja nicht nicht beschreiben, ohne dass die Geschichte leidet. Dann greift man vermutlich automatisch auch ein bißchen auf eigene Ideale und Träume zurück. Ohne sich dessen allzu bewusst zu sein. Das kommt sozusagen von allein...
Etwas peinlich wird es dann, wenn die eigene Schwester im so wunderbar gefundenen Mitbewohner zweifelsfrei Eigenschaften von Männern aus der gemeinsamen Jugendlektüre von vor zwanzig Jahren entdeckt. Tja, offensichtlich werden unsere Ideale und Vorstellungen entscheidend von frühkindlichen oder auch pubertären Erfahrungen geprägt. Das sollten wir im Hinterkopf behalten, wenn wir unseren minderjährigen Töchtern Bücher zum Lesen oder Filme zum Anschauen geben. Wenn es dumm kommt, werden sie dann später nämlich nur noch bei Winnetou-Typen oder Superman-Verschnitten schwach. Und davon gibt es doch im wirklichen Leben so wenige...

Mittwoch, 21. August 2013

Vom eigenen und dem erfundenen Leben

Wie sehr die Leser eines Buches den Verfasser des Textes mit dem Geschriebenen in Verbindung bringen, wurde mir erst nach Erscheinen meines ersten Romans bewusst. Ab und zu verschwimmen da offensichtlich für manchen die Grenzen zwischen der WG-Inhaberin und ihren diversen Mitbewohnern. Einige meiner Bekannten haben „Dann gute Nacht, Marie“ vermutlich nur gelesen, um etwas mehr über mich zu erfahren. Warum auch nicht?
Immerhin fand ich die Geschichte offensichtlich interessant genug, um ein potentielles Publikum damit zu behelligen. Das sagt etwas über mich. Und ich hielt meine Mitbewohnerin Marie für so besonders, dass sie als Identifikationsfigur für möglichst viele Leserinnen herhalten musste. Auch das sagt etwas über mich. Nämlich darüber, welche Menschen und Themen mich interessieren. Mit welchen Menschen und Themen ich mich über Wochen und Monate beschäftigen kann und möchte. Wen ich in meine fiktionale Wohngemeinschaft aufnehme, sagt also etwas über meine Sympathien aus.
Über mein eigenes Leben dagegen sagt es nichts. Denn ich schreibe keine Biographien oder Tatsachenberichte. Ich schreibe fiktionale Texte, die, wie der Name schon sagt, frei erfunden sind. Trotzdem kann sich das eine oder andere Detail aus dem wirklichen Leben durchaus mal einschleichen. Und zwar nicht nur aus meinem eigenen. Für die Details aus dem Leben anderer habe ich immer ein kleines Buch dabei, in das ich witzige Erlebnisse notiere, um sie nicht zu vergessen. Solche Anekdoten eignen sich manchmal hervorragend, um sie in eine Romanhandlung einzubauen. Meistens sind es Vorfälle, die man beim Erfinden als zu unglaubwürdig wieder verwerfen würde.
Meine Freunde und Familie haben beim Lesen meines ersten Romans durchaus einige Aspekte gefunden, die sie an mich erinnerten. Wahrscheinlich verwertet man beim ersten Mal auch deutlich mehr eigenes als in späteren Werken. Trotzdem war es meiner Mutter vermutlich nicht immer angenehm auf die angeblichen Selbstmordabsichten ihrer Tochter angesprochen zu werden. Denn einige ihrer Bekannten konnten da offensichtlich nicht so ganz unterscheiden zwischen der Romanfigur und ihrer Schöpferin.
Und nur allzu oft wurde mir selbst die Frage gestellt: „Hat dein Roman einen autobiographischen Hintergrund?“ Der ängstliche Ausdruck in den Augen des Fragenden zeigte dabei meist deutlich, dass ein „Ja“ zu großen Irritationen bezüglich meiner Person geführt hätte. So nach dem Motto: Warum habe ich nur in all den Jahren nichts davon gemerkt?
Da versteht man dann plötzlich noch viel besser, warum es Klausjürgen Wussow leid war, als „Doktor Brinkmann“ angesprochen zu werden, oder Romy Schneider auf keinen Fall mehr „Sissi“ sein wollte. Zum Glück konnten meine Mutter und ich ja jedes Mal mit „Nein“ antworten, so dass die Welt für alle Beteiligten schnell wieder in Ordnung war. Vielleicht sollte ich mal ein Universalgenie oder eine weltberühmte Autorin in meine fiktionale Wohngemeinschaft aufnehmen. Ob man hinter einem solchen Roman wohl auch einen autobiographischen Hintergrund vermuten würde?

Montag, 19. August 2013

Von Marie und mir

Als Marie, meine erste Hauptfigur, bei mir einzog, wusste ich von ihr nicht mehr, als dass sie von ihrem Leben die Nase voll hatte. Aber genau das interessierte mich. Also begann ich zu schreiben. Sehr schnell wurde mir klar, dass Marie an ihr selbstgewähltes Lebensende offensichtlich ganz andere Ansprüche stellte als die meisten von uns es tun würden. Ich schrieb und schrieb, und gleichzeitig plante Marie sozusagen im Nebenzimmer ihren Selbstmord. Schritt für Schritt, Punkt für Punkt. Minutiös, akribisch, pragmatisch.
Je näher ich Marie kennenlernte, desto bewusster wurde mir, dass sie in jedem Fall einen unkreativen, eher nüchternen Beruf haben musste. Wer sich so emotionslos und durchorganisiert an die Planung seines eigenen Lebensendes macht, kann keinen künstlerischen oder gar sozialen Beruf ausüben. Also wurde Marie Informatikerin. Ausgerechnet. Einen größeren Unterschied zu mir konnte es kaum geben. Schon im Gymnasium habe ich immer eher die sprachlichen als die mathematischen Fächer gemocht. Und Informatik als Wissenschaft gab es in meiner Schulzeit ja noch gar nicht. Meinen ersten Text mit dem Computer habe ich mit achtzehn geschrieben.
Um mit Marie mithalten zu können, musste ich also recherchieren. Was im Bereich Informatik gar nicht so einfach ist. Schon genauere Informationen zu finden, ist schwer. Sie dann aber auch noch zu verstehen... quasi unmöglich. Zumindest für einen mathematisch eher unbegabten Menschen wie mich. Ich weiß nicht, wie oft ich mich im Laufe des Zusammenwohnens mit Marie gefragt habe, warum sie ausgerechnet Informatikerin sein muss. Manchmal machen es einem die eigenen Hauptfiguren wirklich nicht gerade leicht. Nun gut, irgendwie war ich selbst schuld. Warum hatte ich Marie überhaupt einziehen lassen?
Im Laufe der Zeit fand ich einen Weg, Maries Arbeit nicht unbedingt immer in aller Ausführlichkeit zu beschreiben. Schließlich war das für das Erzählen ihrer Geschichte auch nicht notwendig. Und welcher Leser legt bei einem Frauenroman schon Wert auf eine mathematische Abhandlung? Zumal, wenn diese von einer Autorin verfasst ist, die man getrost als äußerst fachfremd bezeichnen könnte.
So fand mein Zusammenleben mit Marie doch noch ein glückliches Ende. Trotzdem muss ich bei der häufig gestellten Frage „Wieviel von Ihnen steckt in Marie?“ immer wieder grinsen. Ein bißchen Autor steckt sicher in jeder fiktionalen Figur. Das kann wahrscheinlich keiner ganz verhindern. Und wenn es nur der Geschmack, der Tonfall, einige Vorlieben oder die politische Einstellung ist. Trotzdem macht gerade die Auseinandersetzung mit den unbekannten Seiten und Themen des Lebens mitunter den Reiz des Schreibens aus. Und da hat mich meine Mitbewohnerin Marie sicher immer wieder ganz schön gefordert...

Freitag, 16. August 2013

Von mir und meinen Mitbewohnern

Als Schriftstellerin lebe ich mit meinen Romanfiguren zusammen. Zumindest für eine gewisse Zeit. Solange nämlich, wie ich brauche, um einen Charakter zu entwerfen, seine Geschichte zu finden, gegebenenfalls wieder zu verwerfen, neu zu finden, zu entwickeln und schließlich zu erzählen. Das können Tage sein. Oder Monate. Manchmal auch Jahre. Wie in einer Wohngemeinschaft. Und die kann einen nerven oder auch bereichern. Wie im richtigen Leben...
Nach Beendigung eines Romans ziehen meistens einige Mitbewohner aus der WG aus. Andere ziehen sofort ein, falls man schon ein neues Projekt plant. Und manchmal wird man ein paar Mitbewohner auch gar nicht wieder los. Dann muss man wohl oder übel eine Fortsetzung schreiben. Hie und da verändert sich eine Figur im Laufe ihres „Mitwohnens“ erheblich. Denn die Verhaltensänderung, die man sich in einer echten WG von seinen Mitbewohnern manchmal vergeblich wünscht, ist von frei erfundenen Romanfiguren relativ leicht zu bekommen. Zumindest leichter als im wirklichen Leben.
Eine Romanfigur läßt sich (im Entwicklungsstadium) immer wieder nach den eigenen Vorstellungen verändern. Ihre Reaktionen auf Ereignisse ihres Lebens lassen sich bearbeiten, verbessern, ja sogar rückgängig machen. Man muss sich also in der fiktionalen Wohngemeinschaft nicht endlos mit den Unzulänglichkeiten seiner Mitbewohner herumschlagen. Nein, man ändert sie einfach. Keine unabgespülten Geschirrberge, kein ungeputztes Klo – es sei denn, der Autor will das so. Und selbst dann kostet es ihn ja nur eine einzige Zeile, den Dreck wieder wegzumachen. Oder wegmachen zu lassen.
Bevor der Computer uns Schriftstellern das Leben erleichterte, lag der Dreck dann noch eine Zeitlang im Papierkorb. Oder verschwand unter einer Schicht TippEx. War aber immer noch irgendwie da. Das konnte sicher unangenehm sein... wenn den Schriftsteller seine gekündigten Mitbewohner in Form von Unmengen zerknüllten Papiers oder langen durchgestrichenen Textpassagen weiterhin vorwurfsvoll anblickten. Heute wird unerbittlich gelöscht und sofort wieder abgespeichert. Und fertig ist der neue WG-Nachbar. Wenn das doch in der Realität auch so einfach wäre!
Die WG des Schriftstellers mit seinen Geschöpfen ist also eine Art Doppelleben, in dessen Zweitdasein der Autor alles so erfinden kann wie er es gerne hätte oder vielleicht auch eben nicht. Manche Romanautoren finden ja durchaus Gefallen an der Beschreibung eines Horrorszenarios, das weit über ungespültes Geschirr und Urinstein hinausgeht. Stephen King müsste demnach äußerst schlechte Erfahrungen mit seinen diversen fiktionalen Mitbewohnern gemacht haben.
Manchmal besuchen mich meine Protagonisten noch lange nach ihrem Auszug immer wieder. Dann nämlich, wenn mir die Leser nach Erscheinen des Romans ein Feedback darüber geben, wie gut oder schlecht so manche Figur gelungen ist. Das kann ein erhebendes oder auch niederschmetterndes Gefühl sein. In jedem Fall aber kann man dabei einiges lernen. Denn nach einem Auszug ist meistens auch vor einem Einzug. Und der nächste Mitbewohner kommt bestimmt...