Montag, 30. September 2013

Von Gegenwärtigem und Vergangenem

Was bei WG-Mitbewohnern ganz normal ist, klingt bei Romanfiguren irgendwie komisch. Die Tatsache nämlich, dass sie eine Vergangenheit haben, die stattfand, bevor ich sie kennenlernte. Bei einer Figur, die ich selbst erfunden habe, wirkt das geradezu absurd. Trotzdem braucht jeder Protagonist zu dem, was und wie er heute ist, auch das, was er vor Beginn des Romans erlebt hat. Und sollte der Leser vieles davon nie erfahren, so muss ich als Schriftstellerin es dennoch wissen, um die Figur glaubhaft und stimmig agieren lassen zu können.
Doch wie erfahre ich genaueres über die Vergangenheit meiner Protagonisten. Wie auch bei den echten Mitbewohnern bringt es nichts, sozusagen mit der Tür ins Haus zu fallen. Denn die Erlebnisse des bereits gelebten Lebens werden nie alle auf einmal zum Thema, sondern nach und nach. Man hat eine Figur in ihren Grundzügen konzipiert und stellt sich nun die Frage: Warum ist diese Person heute so und warum handelt sie in dieser Situation so? Meistens ergibt sich die Antwort aus der Vergangenheit der Figur.
Zu der Figur an sich muss ich also auch noch ein zuvor gelebtes Leben erfinden. Und das muss - wie Aussehen, Charakter und Umfeld – wieder von vorne bis hinten stimmig sein, um nicht unglaubwürdig zu werden. Aus meiner Erfahrung mit Menschen und Ereignissen kann ich einen Teil des dazu nötigen Wissens schöpfen. Aber natürlich nicht alles. Den Rest muss ich recherchieren, indem ich mich mit Menschen, die in einer ähnlichen Situation stecken, unterhalte oder indem ich mich in Büchern oder dem Internet kundig mache.
So entsteht, wie in der Realität auch, durch viele Einzelheiten, die ich nach und nach erfahre, ein Leben vor dem Roman. Und dieses Leben wirkt sich im Fortgang der Geschichte immer wieder aus, manchmal auch ohne dass der Leser es merkt. Wie in der Big Brother-WG können meine Mitbewohner also gar nichts vor mir verheimlichen. Und anders als im Fernsehen nicht einmal das, was in der Vergangenheit mit ihnen passiert ist...

Freitag, 27. September 2013

Von Bekannten, Freunden und der Familie

Wie jeder WG-Mitbewohner so hat natürlich auch jede Romanfigur ihr persönliches Umfeld. Es gibt Familienmitglieder, Freunde, Bekannte und wen man sonst noch so kennenlernt, im Laufe eines Daseins. Lebenspartner sind beim Einzug eher selten. Schließlich geht es in Frauenromanen sehr oft um das Finden desselben und in einer Wohngemeinschaft darum, nicht allein wohnen zu müssen, weil man keinen Partner hat. Mit dem Problem Beziehung müssen wir uns also meistens erst in einer späteren Phase beschäftigen.
Den Rest jedoch bringen sie alle irgendwie mit, WG-Mitbewohner wie Protagonisten, Haupt- wie Nebenfiguren. Zu Beginn des Kennenlernens habe ich noch keine Ahnung, was da auf mich zukommt. Da ist nur die eine, neu eingezogene Person wichtig. Doch wenn man die dann mal ein bißchen näher kennt, kommen zwangsläufig auch mal Freunde oder Verwandte zu Besuch. Und da kann man sich nicht, wie in einer echten WG in sein Zimmer verziehen und die Tür hinter sich zumachen.
Nein, die Freunde und Verwandten muss ich als Schriftstellerin auch näher kennenlernen. Und ich muss auch nach denen fragen, die nicht persönlich vorbeikommen, die es aber trotzdem gibt. Was das Schreiben angeht, bedeutet das, dass sich einige Figuren aus dem Umfeld der Hauptfigur sozusagen von allein ergeben, also durch die Geschichte begründet sind. Andere wiederum lerne ich nicht so unmittelbar kennen, sie drängen sich nicht auf. Können aber für die Geschichte trotzdem interessant und hilfreich sein.
Da kann so eine Schwester, Freundin oder Arbeitskollegin, die für den Fortgang der Geschichte keinerlei Bedeutung hat, schon mal als Beraterin fungieren und der Figur die Möglichkeit geben, ihr Handeln zu reflektieren. Was mir als Schriftstellerin wiederum die Möglichkeit gibt, das Innere meiner Protagonistin nach außen zu kehren.
Bei Emma aus „Verliebt und zugenäht“ erfüllte diese Funktion ihre Oma, die ihr immer mit Rat und Tat zur Seite stand, am Fortgang der Handlung jedoch keinen unmittelbaren Anteil hatte. Dennoch fiel mir irgendwann auf, dass man als Leser vielleicht trotzdem etwas mehr über diese Großmutter erfahren möchte. Also musste erst einmal ich sie näher kennenlernen, um mein Wissen in die Geschichte einbauen zu können. Bei Emmas Oma hat sich das wirklich gelohnt, denn sie ist vermutlich die eigenwilligste Figur, die ich in meiner fiktionalen Wohngemeinschaft bisher hatte...

Mittwoch, 25. September 2013

Von den Mitbewohnern und ihrem Aussehen

Nachdem ich selbst lange in den verschiedensten Wohngemeinschaften gelebt habe, weiß ich sehr gut, wie es da tatsächlich zugeht. Das Auswahlverfahren neuer Mitbewohner habe ich bereits von beiden Seiten mehrmals zu spüren bekommen. Das heißt, ich wurde ausgewählt und ich habe ausgewählt. Nun ist die Frage: Geht es dabei auch um Äußerlichkeiten? Spielt das Aussehen einer Person für seine Eignung als WG-Mitbewohner überhaupt eine Rolle? Die Frage kann ich natürlich nur aus meiner eigenen Erfahrung beantworten.
Meiner Meinung nach ist das Aussehen eines Menschen bei sämtlichen Beurteilungen unseres Lebens wichtig. Egal, ob wir einen neuen Arbeitskollegen, Nachbarn oder WG-Bewerber zum ersten Mal sehen, wir beurteilen ihn zunächst auch nach seinem äußeren Erscheinungsbild. Klar, denn sehr viel mehr wissen wir über ihn zu Beginn auch noch nicht. Kriterien sind dabei nicht nur die Physiognomie, sondern auch Kleidungsstil, Frisur und bei Frauen das Make Up. Manchmal bestätigt sich unsere erste Meinung nach näherem Kennenlernen nicht. Aber oft zeigt sich, dass das Äußere tatsächlich einiges über einen Menschen aussagen kann.
Wenn das so ist, dann ist auch für Romanfiguren ihr Aussehen von nicht so untergeordneter Bedeutung. Und im Gegensatz zu den realen WG-Mitbewohnern kann ich als Schriftstellerin bei meinen Protagonisten Einfluss darauf nehmen. Dazu muss man aber wissen, welche Äußerlichkeiten zu welchen Charakterzügen passen. Und dabei wiederum muss man aufpassen, dass man nicht zu sehr in Klischees abdriftet. Manchmal jedoch ist ein bißchen Klischee sogar ganz witzig, schließlich begegnet es einem im eigenen Leben auch ab und zu.
Zu Beginn der Konzeptionsphase entsteht bei mir nach und nach ein Bild vom Aussehen meiner Hauptfigur vor meinem inneren Auge. Ohne dass ich konkret darüber nachdenke, wird dieses Bild im Laufe der Auseinandersetzung mit der Figur immer deutlicher. Dann weiß ich, welcher Typ die Person äußerlich ist. Das ergibt sich sozusagen. Doch das reicht nicht. Um meinen Protagonisten wirklich ein Gesicht geben zu können, muss ich mehr wissen. Und hier beginnt für mich der aktive Teil.
Jetzt überlege ich, welcher Kleidungsstil, welche Frisur, welche Accessoires zu der Figur passen könnten. Dabei hilft gerne das „Wildern“ in fremden Revieren, denn meistens erinnert mich das Bild in meinem Kopf an eine reale Person, die ich kenne. Von der kann ich mir dann einiges abgucken, damit die Gesamterscheinung auch wirklich stimmig wird. Natürlich kann man dabei auch Eigenschaften verschiedener Menschen vermischen, sozusagen „kreuzen“, was äußerst praktisch sein kann. Herr Mendel, der das damals nur mit Erbsen tun und das Ergebnis auch nicht beeinflussen konnte, läßt grüßen. Und fertig ist der Protagonist, ein bißchen wie aus dem Reagenzglas...

Montag, 23. September 2013

Von meiner WG und "Big Brother"

Die zur Zeit wohl bekannteste und meist beachtete WG ist „Promi Big Brother“. Um die eineinhalb Millionen Menschen schalten jeden Abend ein, um mehr oder weniger bekannten Persönlichkeiten beim Schlafen, Duschen, Essen und nicht zuletzt beim Diskutieren zuschauen zu können. Zwei Wochen hat man als regelmäßiger Fernsehzuschauer das Gefühl, alles aus dem Leben der Protagonisten zu erfahren. Was nehmen sie zu sich und geben sie von sich? Was tragen sie zu Hause am Leib oder mit den Mitbewohnern aus? Was oder wen lieben oder hassen sie?
Vor kurzem fiel mir auf, wie zahlreich die Parallelen zwischen dieser Sendung und meiner fiktionalen Wohngemeinschaft sind. Wie der Sat1-Zuschauer kann ich meine Figuren ständig bei ihrem Leben beobachten. Ich weiß, was und wieviel sie essen. Ich weiß, was oder wen sie mögen oder auch nicht. Vor mir können sie nichts verheimlichen. Ich jedoch kann sie nach Lust und Laune beeinflussen. Genau wie bei „Promi Big Brother“ entscheide ich als übergeordnete Instanz, was mit meinen Figuren passiert. Im Fernsehen macht das Sat1.
Und wie der Sender entscheide auch ich allein, welchen Teil meiner Kenntnisse ich den Leser wissen lasse. Die täglichen sechzig Minuten bei „Big Brother“ bestehen lediglich aus einem kleinen Teil dessen, was in den vergangenen vierundzwanzig Stunden im Container passiert ist. Ausgewählt und bearbeitet von Sat1. Und auch mein Roman besteht nur aus einem Teil dessen, was ich mir in der Konzeptionsphase zu den einzelnen Figuren überlegt habe. Allerdings aus einem wesentlich größeren als dem Vierundzwanzigstel im Fernsehen. Auf jeden Fall ist aber beides, meine Romane und „Promi Big Brother“, Fiktion und nicht Realität.
Und im Gegensatz zu Cindy aus Marzahn und Oliver Pocher gebe ich als Schriftstellerin nicht auch noch ständig meinen Senf zu dem, was in meiner WG geschieht. Ganz kann man das natürlich auch als Autor nie vermeiden, doch so offensichtlich wie bei „Big Brother“ wäre es vermutlich für die meisten Leser ein Greuel. Also halte ich mich mit meiner Meinung zu Person und Handeln meiner Figuren vornehm zurück und überlasse diese Form der Fiktion lieber den Kollegen von Sat1...

Samstag, 21. September 2013

Von den Figuren und ihren Veränderungen

Wenn ich meine bisherigen Romanfiguren wie ein Künstler seine fertigen Kunstwerke aus der Distanz betrachte, fallen mir natürlich viele Unterschiede auf. Klar, kein Protagonist ist wie der andere – das ist ja auch durchaus so gedacht. Abgesehen davon zeigt sich aber bei einem Vergleich der Figuren inzwischen, dass auch ich bei der Konzeption offensichtlich eine Entwicklung durchgemacht habe. Und dass einige der Unterschiede zwischen den Protagonisten eine Folge eben dieser Entwicklung sind und sich nicht nur aus deren Biographien ergeben.
Ich weiß nicht, ob das auch anderen Romanautoren so geht, aber ich habe in der Anfangsphase meiner Schreibtätigkeit relativ viele Eigenschaften, Vorlieben und Umstände meiner Figuren aus meinem eigenen Erfahrungsschatz entlehnt. Da ich mit dem Schreiben, Erfinden und Recherchieren noch nicht so vertraut war, wollte ich mir das Ganze dadurch ein wenig erleichtern. Zu aufwendig war es schon, die Einzelheiten der Geschichte, deren Logik und die Richtigkeit aller Details im Griff zu haben. Meine Mitbewohner waren also in manchen Punkten so wie ich oder erlebten ähnliches. Gleich und gleich gesellt sich eben gern.
Deshalb trank meine erste Hauptperson Marie gerne Unmengen von Tee (wie ich), war ihre beste Freundin Alma Journalistin bei einer Zeitung (wie ich früher) und arbeitete Inka in meiner ersten Kurzgeschichte bei einer Filmproduktion (wie ich heute). Das war auch nicht weiter schlimm. Schließlich kennen mich und mein Leben die wenigsten meiner Leser so gut, dass ihnen solche Parallelen auffallen würden. Und selbst wenn... Das würde der Freude an der Lektüre vermutlich keinerlei Abbruch tun.
Nein, meine eigene Kreativität schränkte es eher ein wenig ein. Doch das merkte ich erst einige Zeit später. Als ich nämlich mit meiner zweiten Romanprotagonistin Emma Erfahrungen auf ganz anderen Gebieten machte. Plötzlich war es nicht mehr nur anstrengend, neue und unbekannte Lebensbereiche zu erforschen, sondern auch spannend. Und manchmal sogar lehrreich. Die Hauptfigur Schneiderin, ihr Schwager Arzt, der Freund der Familie Landschaftsarchitekt... Da war plötzlich nicht mehr so viel, was sich mit meinem eigenen Leben deckte. Nun gut, Emmas Nichte war ungefähr so alt wie meine und ihr Schwarm arbeitete beim Film wie ich, aber der Rest...
So sind meine Mitbewohner zunehmend Charaktere mit mir oft unbekannten Eigenschaften, Interessen und Lebensumständen. Und eröffnen mir dadurch immer neue Welten, in die ich durch das Zusammenleben mit ihnen eintauche und die mein eigenes Leben und meinen Horizont durchaus bereichern. „Gleich und gleich gesellt sich gern“ war gestern. Heute gilt: „Gegensätze ziehen sich an“.

Montag, 16. September 2013

Von Nachnamen und ihren Dimensionen

Im Gegensatz zum realen Leben, wo man als Eltern nur einen Vornamen für das Neugeborene festlegen kann, bin ich als Schriftstellerin auch in der Lage, die Nachnamen meiner WG-Mitbewohner völlig frei zu wählen. Das eröffnet zwar unzählige Möglichkeiten, bringt aber auch einige Schwierigkeiten mit sich. Zumindest fällt es mir persönlich immer ziemlich schwer, einen passenden Familiennamen für eine neue Figur zu finden.
Das hängt vermutlich damit zusammen, dass man im Alltag häufiger mit Vor- als mit Nachnamen zu tun hat. Von vielen Menschen, die man kennenlernt, bekommt man heuzutage nur noch ersteren genannt. Ob das die Freunde der Freunde auf der Party, die Trainingskollegen im Fitnessstudio oder so manche Arbeitskollegen sind. Man duzt sich sofort und braucht dafür ja lediglich einen Vornamen. Dagegen ist ja auch im Prinzip nichts einzuwenden. Doch bei der Suche des Nachnamens für eine Romanfigur erschwert es eben einfach die Lage.
Kann ich bei Vornamen gedanklich sämtliche Menschen in meinem Bekanntenkreis durchgehen, so wird das bei den Familiennamen schwierig. Nun gut, für manche Protagonisten eignen sich auch weniger ausgefallene wie „Huber“, „Schmidt“ oder „Müller“ ganz gut. Aber manchmal soll es dann eben doch etwas Besonderes sein. Schließlich wird eine Romanfigur auch durch ihren Nachnamen irgendwie charakterisiert. Ist er extrem häufig oder ziemlich exotisch, nordischen Ursprungs oder typisch bayerisch oder vielleicht ausländisch. All das gibt der Figur ein gewisses Format, sagt etwas über ihre Herkunft oder die Herkunft ihrer Vorfahren aus.
Manche Autoren geben ihren Romanfiguren sogenannte „sprechende Namen“. Besonders bekannt sind hier Max Frischs Gottlieb Biedermann oder sein Walter Faber. Friedrich Schiller nannte in „Kabale und Liebe“ den dümmlichen Hofmarschall „von Kalb“ und den schleimigen Sekretär „Wurm“. Und auch heute noch erfreuen sich solche Wortspiele größter Beliebtheit. So gibt es zum Beispiel in „Harry Potter“ den strengen Lehrer Severus Snape und einen ambivalenten Widersacher mit dem vielsagenden Namen Sirius Black.
Im Genre des „heiteren Frauenromans“, in dem ich gegenwärtig mein Unwesen treibe, sind derartige Namensgebungen eher selten. Trotzdem hieß meine erste Hauptfigur Marie Hartmann, was ziemlich gut zu ihrem nüchternen Wesen und ihrer emotionslosen Art passte. In diesem Fall habe ich jedoch nicht besonders lange überlegt, gesucht oder konstruiert, sondern bin eher einer spontanen Eingebung gefolgt. Dass die von meiner Vorstellung der Figur begünstigt war, läßt sich allerdings nicht ganz ausschließen...

Donnerstag, 12. September 2013

Von Vornamen und ihren Trägern

Die Namen meiner Mitbewohner kann ich mir selbst aussuchen. Nach Lust und Laune kann ich taufen und auch jederzeit wieder umtaufen. Zumindest im Bearbeitungsstadium. Manchmal habe ich den Vornamen einer Figur sofort im Kopf. In dem Moment, in dem sie in meiner WG einzieht, weiß ich auch schon wie sie heißt. Ab und zu überlege ich dann noch eine Weile und probiere andere Namen aus. Meistens bleibt es in so einem Fall aber beim ersten intuitiven Einfall.

Manchmal braucht die Namensfindung
auch mehrere Anläufe...
 Es gibt aber auch Mitbewohner, die sozusagen komplett namenlos einziehen, und deren Namen man sich erst hart erarbeiten muss. Dann wälze ich die verschiedensten Namenslisten im Internet, die wohl eher für die eigenen Kinder gedacht sind. Für Romanfiguren eignen sie sich allerdings ab und zu auch ganz gut, weil man auf völlig neue Ideen kommt. Gerade in den Top Ten der vergangenen Jahre finden sich Vornamen, die zur Zeit meiner Geburt kein Elternteil in Erwägung gezogen hätte. Aus diesem Grund habe ich auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis keinen einzigen Träger eines solchen Namens, würde also vermutlich von allein nie drauf kommen.
Nun ist das aber mit den Namen so eine Sache. In dem Moment nämlich, in dem ich jemanden kenne, der so oder so heißt, ist dieser Vorname in meinem Kopf unabänderlich mit den Eigenschaften dieser Person verbunden. Ist der Mensch mir sympathisch, dann ist es der Name auch. Wenn nicht, dann nicht. Noch kurioser wird es, wenn Vornamen in der eigenen Vorstellung nicht nur mit Sym- oder Antipathien, sondern auch mit Äußerlichkeiten oder Charaktereigenschaften verknüpft werden. Und wenn ich dann drüber nachdenke, dass jeder Leser da sicher sein eigenes System im Kopf hat...
So fand zum Beispiel eine meiner ersten Leserinnen den Namen „Lutz“ für Maries Auserwählten gar nicht gut. Vermutlich kannte sie im Gegensatz zu mir einen Träger dieses Namens, der ihr überhaupt nicht sympathisch war. Oder gibt es etwa Namen, die die meisten oder sogar alle Menschen mit unangenehmen Eigenschaften oder auch mit angenehmen in Verbindung bringen?
Auch dafür gibt es Listen. Listen der klügsten, attraktivsten, modernsten, aber auch der dümmsten und altmodischsten Vornamen. Oder besser: der Vornamen, die allgemein mit diesen Eigenschaften assoziiert werden. Da werden „Taylan“ und „Marlou“ als die modernsten, „Edelbert“ und „Waltraud“ dagegen als die altmodischsten Namen gelistet. „Nathanael“ und „Esmé“ sind schon namentlich besonders klug, „Mendy“ und „Zlatko“ wiederum ziemlich dumm. Wobei letzterer den Stempel vermutlich von seinem berühmten Namensvetter aus „Big Brother“ bekommen hat. Pech.
Als die hässlichsten werden „Arnulf“ und „Machmut“ wahrgenommen. Die schüchternsten sollen angeblich „Dankward“ und „Kunigunde“ sein. Beim Studieren dieser Aufzählungen fällt ziemlich schnell auf, dass sich die Namen bei den positiven Listen erstaunlich ähneln. Ebenso die bei den negativen Attributen. Das spricht dafür, dass es eben einfach sympathische und weniger sympathische Vornamen gibt.
Trotzdem hat man sich gerade in letzter Zeit des öfteren Gedanken darüber gemacht, welche speziellen Charaktereigenschaften allgemein mit bestimmten Vornamen assoziiert werden. Die Namenforschung fand zum Beispiel heraus, dass „Kevin“ häufig mit Gewaltbereitschaft und geringerer Intelligenz in Zusammenhang gebracht wird, während „Maximilian“ eher als wohlhabend, verlässlich und klug gilt. „Maria“ wird als attraktiv, verlässlich und jung angesehen. Letzeres wird auch einer Lisa zugeschrieben, während „Bärbel“ als alt und tendenziell unsportlich gilt. Das mag rein statistisch eine interessante Sache sein.
Trotzdem glaube ich, dass ich als Schriftstellerin bei der Namenssuche immer eher dem eigenen Gefühl als einer Statistik nachgehen werde. Ich werde weiter im Kopf meine ehemaligen Klassenkameraden, Arbeitskollegen oder Widersacher durchgehen, wenn ich einen geeigneten Namen für einen neuen Mitbewohner suche. Und ich werde weiter interessante Namen, die ich höre, sehe oder lese, in meinem Ideen-Büchlein notieren, um sie dann bei passender Gelegenheit anwenden zu können. Denn Namen sind Schall und Rauch, aber manchmal doch gar nicht so unwichtig...

Dienstag, 10. September 2013

Von den Mitbewohnern und ihrer Präsenz

Eine Wohngemeinschaft hat bekanntermaßen nicht nur Vorteile. Kann man als WG-Bewohner durchaus von den diversen Fähigkeiten und Besitztümern der anderen profitieren, so möchte man manchmal auch einfach seine Ruhe haben. Als allein lebender macht man in so einem Fall lediglich seine Wohnungstür hinter sich zu, reagiert nicht auf die Klingel und geht unter keinen Umständen an’s Telefon. Fertig. In einer Wohngemeinschaft jedoch kann man schlecht seinen Mitbewohnern verbieten, das Bad oder die Küche zu benutzen, wenn man es selber gerne tun würde. Oder ihnen untersagen, an die Zimmertür zu klopfen, wenn sich Fragen bezüglich gemeinsamer Angelegenheiten ergeben.
Ähnlich ist es auch mit der fiktionalen Wohngemeinschaft. Habe ich nach einem eventuell langwierigen Auswahlverfahren eine neue Figur darin aufgenommen, dann ist sie da und bleibt auch erst einmal da. Ob ich will oder nicht. Schon morgens beim Aufstehen winkt sie aufdringlich vom Laptop herüber, so dass ein gemütliches Frühstück nahezu unmöglich ist. Also wird schon vor der ersten Nahrungsaufnahme ein wenig geschrieben. Ich will ja nicht unsozial sein.
Gerade in der Zeit, in der ich die wichtigsten Figuren eines Romans konzipiere, gehen sie mir meistens den ganzen Tag nicht aus dem Kopf. Sie begleiten mich nicht nur bei meiner Schreib- bzw. Entwurfstätigkeit am Computer, sondern gerne auch mal zum Bäcker, in den Drogeriemarkt oder in’s Fitnessstudio. Wenn ich mit meinem Fahrrad an der Isar entlang radle, beschäftigen mich meine Romanfiguren in der Konzeptionsphase eigentlich ununterbrochen.
Die WG und ihre Mitbewohner werden in dieser Zeit sozusagen zum Fulltime-Job, was Vor- und Nachteile hat. Positiv daran ist, dass einem auf diese Weise ständig neue Ideen und Facetten zu den Personen, ihren Eigenschaften und Erlebnissen einfallen können. Vieles, was einem im eigenen Leben begegnet, wird zu der Figur in Beziehung gesetzt und ergibt so eventuell einen neuen Impuls für die Geschichte. Der Nachteil dabei ist, dass es so etwas wie „Türe-zu-und-einfach-nicht-reagieren“ im Grunde selten geben kann.
Um im Bild zu bleiben: die Mitbewohner nerven manchmal und zwar gehörig. Die Verschnaufpause vom Konzipieren gibt es in dieser Phase der Romanarbeit manchmal nur, wenn man sich dazu zwingt. Und das zu tun, wäre eigentlich ziemlich ungeschickt, können einem doch genau in einer Zwangspause schier unzählige gute Einfälle durch die Lappen gehen...