Freitag, 29. November 2013

Von den ersten Schritten und ihrer Last

Die ersten Schritte sind immer die schwersten. Ob es sich nun um den Schulanfang, die ersten Tage im neuen Job, den Beginn einer Beziehung oder den Einzug in eine WG handelt... Aller Anfang ist schwer, sagt schon ein bekanntes Sprichwort. Und das gilt nicht nur für reale, sondern auch für fiktionale Welten.
Das Kennenlernen der eigenen Romanfiguren kann manchmal eine recht langwierige Angelegenheit sein. Ab und zu sperren sich die Protagonisten gegen ihre Geschichte, finden nur sehr schwer zu ihrer Gestalt und wollen sich einfach nicht in die passende Form begeben. Das kann leider auch dazu führen, dass man sie als Autor gelegentlich einfach ein paar Tage nicht mehr sehen will.
Wenn ich mich richtig erinnere, gibt es das durchaus auch in einer realen Wohngemeinschaft. Da hat man Tage, an denen man am liebsten die Küche oder den Flur nur betreten würde, wenn sichergestellt ist, dass man keinem der anderen Bewohner über den Weg laufen muss. Und an solchen Tagen schafft man das dann auch meistens.
Bei der Romanarbeit ist es leider so, dass man sie gerne mal ein paar Tage liegen läßt, wenn einem die sperrigen Figuren zu sehr auf die Nerven gehen. Was aber ebenso leider dazu führt, dass sie auch nicht weniger sperrig werden. Denn das werden sie nur, wenn man sich mit ihnen beschäftigt. Wie in einer zwischenmenschlichen Beziehung also kann man Unstimmigkeiten nur aus der Welt schaffen, indem man miteinander kommuniziert.
Ein Autor sollte sich demnach vor allem in der Anfangsphase nicht allzu lange von seinen Protagonisten fernhalten, um den Vorgang des Aneinander-Gewöhnens nicht unnötig zu gefährden. Aller Anfang ist schwer und das gilt auch für die Entstehung von Romanfiguren. Doch wenn man das Konzipieren zu sehr schleifen lässt und immer wieder vor sich her schiebt, wird er noch schwerer. Denn Romanfiguren können sich leider nicht selbstständig entwickeln. Sie brauchen dafür in jedem Fall einen Schriftsteller. Zum Glück, denn das vergrößert unsere Daseinsberechtigung ungemein...

Mittwoch, 27. November 2013

Von fremden Kulturen und ihren Facetten

Nicht nur Berufe, Interessen und Erlebnisse unserer Romanfiguren ermöglichen uns Schriftstellern das Kennenlernen und Erforschen fremder Welten. Auch ihre Herkunft und Kultur bedeutet für die Erfinder eventuell Neuland. Und das will erst einmal Schritt für Schritt erschlossen sein. Denn kann man sich die Eckdaten so mancher Situationen oder Lebenswelten ganz gut in ein paar Stunden Recherche ausreichend erschließen, so ist das bei nationalen und kulturellen Unterschieden nicht mehr ganz so einfach.
Zieht also ein neuer Mitbewohner, der einen anderen kulturellen Hintergrund hat als ich selbst, in meine fiktionale Wohngemeinschaft ein, dann bekomme ich die Unterschiede zwischen seiner und meiner Lebensweise nicht automatisch mit, wie in einer realen WG. In der Wirklichkeit würde ich jeden Tag miterleben, wie der oder die Neue kocht, sich kleidet, Musik hört oder den Tage gestaltet. Ich würde vermutlich sehr schnell merken, was ihm oder ihr wichtig ist, wo sozusagen die Prioritäten liegen.
Beim Kennenlernen der eigenen Romanfiguren ist das ein bißchen anders. Da wird die Arbeit proportional zum Abstand unserer Lebensumstände größer. Je verschiedener wir sind desto mehr muss ich recherchieren, um mich in die Welt meiner Protagonisten hineinversetzen zu können. Und bei fremden Kulturen ist der Unterschied unter Umständen nicht unerheblich.
Schließlich geht es bei kultureller Verschiedenheit nicht nur um Äußerlichkeiten wie Sprache, Kleidung oder Essensgewohnheiten, sondern oft auch um religiöse Empfindungen, Sitten und Gebräuche. Und da tut man sich von außen oft nicht mehr so leicht, wenn man Maßstäbe und Einstellungen beurteilen will.
Vielleicht liegt es daran, dass Autoren oft Geschichten aus ihrem eigenen Kulturkreis zum Thema ihrer Erzählungen machen. Immerhin weiß man dann am besten, worüber man schreibt. Manchmal ist es aber auch hochinteressant und lehrreich, einmal über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und fremde Bräuche und Kulturen zu entdecken. Denn dann sind sie auf einmal vielleicht gar nicht mehr so fremd...

Montag, 25. November 2013

Von Henne und Ei

Nicht erst seitdem ich in diesem Blog schreibe, frage ich mich, ob die Grenzen zwischen Autor und Protagonist manchmal verschwimmen bzw. ob sie das überhaupt dürfen. Bin ich manchmal auch meine Figur oder ist sie umgekehrt manchmal ich? Kann ich als Schriftstellerin die Persönlichkeit meiner Helden und vor allem Heldinnen immer von meiner eigenen trennen? Und wäre es überhaupt gut, das zu tun? Oder wäre es besser, das nicht zu tun?
Für den Umgang mit diesen Fragen gibt es vermutlich kein Patentrezept. Jeder Autor wird sie anders beantworten. Die Einstellung, dass eine gewisse Distanz zwischen Schöpfer und Geschöpf dringend vonnöten ist, um als Autor Herr der Geschichte und ihrer Entwicklung zu bleiben, ist nachvollziehbar. Aber ist es nicht auch von Vorteil, sich so weit wie möglich in die Lage der eigenen Figuren hineinzuversetzen, um ihre Gedanken, Gefühle und Handlungen möglichst lebensecht beschreiben zu können?
Vielleicht ist es auch gar nicht notwendig, sich als Autor besonders in die Lage der Protagonisten zu versetzen, da man ja eben diese Lage selbst verschuldet bzw. kreiert hat. Denn schließlich hat man diese oder jene Situation vermutlich gerade deshalb geschaffen, um diese oder jene Figur in eine solche Lage zu versetzen. Es ist also vielmehr die Frage, was im jeweiligen Fall eigentlich zuerst da war, Ursache oder Wirkung, Henne oder Ei.
Erfindet der Autor die eine oder andere Wendung der Geschichte, um bei der Figur eine bestimmte, gewollte Reaktion zu erzeugen? Oder entwirft er eine Reaktion, die er in einer bestimmten, in der Geschichte wichtigen Situation für die Figur als nachvollziehbar erachtet? In jedem Fall jedoch lenkt er die Geschicke des Romans von außen und kann sie zu jedem Zeitpunkt beeinflussen.
Trotzdem ist so ein bißchen Hin und Her vermutlich nicht schlecht. Denn es kann sicher nicht schaden, sich ab und zu auch wieder ein wenig in die Lage seiner Figuren zu versetzen, um nachzuspüren, ob sie sich auch in die richtige Richtung entwickeln. Zum Glück hat man als Schriftsteller jederzeit die Möglichkeit, wieder aus der fremden Haut herauszuschlüpfen, wenn einem die Lage dort zu ungemütlich wird. Und dann kann man ja von außen je nach Bedarf immer noch jede Menge ändern...

Donnerstag, 21. November 2013

Von den Neuen und ihren Problemen

Zieht ein neuer Mitbewohner in die fiktionale Wohngemeinschaft ein, dann muss man sich erst einmal aneinander gewöhnen. Im Gegensatz zu einer realen WG ist das für den Neuen deutlich einfacher als für den Autor. Schließlich hat eine Romanfigur wenig Chancen, sich einen anderen Autor oder Roman auszusuchen. Sie muss bleiben, wo sie hingeraten ist – ob sie will oder nicht.
Der Autor dagegen überlegt sich oft lange, ob dieser oder jener Protagonist als Haupt- oder Nebenfigur für seine Geschichte geeignet sein könnte. Nicht selten wechselt die Figur dabei immer wieder den Namen, den Beruf, die Familie oder die Herkunft. Manchmal kann es Monate dauern bis ein Protagonist die Gestalt angenommen hat, an die sich der Autor gewöhnen oder vielleicht sogar mit ihr anfreunden kann.
Meine erste Heldin Marie hatte in meiner Phantasie sehr schnell Gestalt angenommen, war sozusagen schon bei ihrem Einzug mehr oder weniger fix und fertig. Meine zweite Heldin Emma dagegen machte da schon mehr Probleme. Im Laufe ihrer Entwicklung wurde sie von der Anwältin zur Krankenschwester, dann zur Kindergärtnerin und schließlich zur Schneiderin. Und auch ihr Charakter wandelte sich natürlich entsprechend.
Eine Romanfigur kann dagegen nichts machen. Sie muss über sich ergehen lassen, was der Autor alles mit ihr anstellt. Ein Schriftsteller jedoch hat manchmal seine liebe Not mit seinen Proagonisten bis sie sich dann endlich so präsentieren wie sie für die Geschichte brauchbar sind.
Natürlich bin ich froh, dass ich mein Leben nicht in absoluter Abhängigkeit fristen muss wie meine Romanfiguren. Trotzdem hätte ich ab und zu auch mal Lust, mein Schicksal einfach in die Hände eines Autoren geben zu können, damit er mir ein wunderschönes Happy End bastelt. Schade, dass man nicht mal für eine gewisse Zeit die Rollen tauschen und die Vorteile der anderen Seite genießen kann...

Montag, 18. November 2013

Von den Ehemaligen und ihrem Senf

Aus den Augen, aus dem Sinn – das kann sicher kaum ein Autor von seinen Romanfiguren behaupten. Schließlich begleiten sie ihn auch nach Beendigung eines Werkes erst einmal weiter. Sie begegnen ihm bei jeder Lesung, die er zu einem Buch hält, laufen ihm bei jedem Feedback, das er zu einem Roman bekommt, über den Weg. Auch nach ihrem Auszug bleiben die Protagonisten also eine ganze Weile präsent, ob man will oder nicht.
Beginnt die Arbeit an einer neuen Geschichte, so melden sich die Ehemaligen immer seltener. Und oft ist schon relativ kurz nach dem Erscheinen eines Romans und seiner Figuren nicht mehr so viel von ihnen die Rede. Das hängt natürlich maßgeblich vom Erfolg eines Buches, von den Verkaufs- und damit Leserzahlen ab. Bei einem Bestseller wird der Autor sicher deutlich länger auf den einen oder anderen Protagonisten angesprochen und muss sich von daher auch länger mit ihm auseinandersetzen als bei einem Verkaufsflop.
Doch ob Flop oder nicht – manchmal ist es ganz schön schade, dass die eine oder andere Romanfigur, mit der man in der Bearbeitungsphase so viel Zeit verbracht hat, danach sang- und klanglos wieder verschwindet. Das läßt sich ändern, dachte ich mir und habe so eine Art „Ehemaligentreffen“ in meinen Büchern eingeführt. Es tauchen also Hauptpersonen aus vergangenen Büchern in späteren Geschichten wieder auf.
Dabei können die älteren Figuren eine Art Ratgeberfunktion für die jüngeren Figuren übernehmen. Das darf man natürlich nicht übertreiben. Und bis jetzt gibt es bei mir auch nur eine Hauptfigur, die im nächsten Roman wieder erscheinen und ihren Senf zum Schlamassel ihrer Nachfolgerin dazu geben durfte. Diese Querverbindung zwischen „Dann gute Nacht, Marie!“ und „Verliebt und zugenäht!“ erkennt natürlich auch nur, wer beide Bücher gelesen hat.
Aber ich glaube fest daran, dass auch ein paar Leser Spaß daran haben, die eine oder andere ehemalige Figur nach einiger Zeit wiederzutreffen und zu erfahren, was in der Zwischenzeit mit ihr passiert oder aus ihr geworden ist. Deshalb werde ich solche „Ehemaligentreffen“ auch in zukünftigen Romanen veranstalten. Denn wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Und haben uns auch immer wieder etwas zu sagen...

Mittwoch, 13. November 2013

Vom Happy End und seinen Tücken

Ich habe keine Ahnung warum, aber irgendwie wollen meine Heldinnen alle unbedingt ein Happy End erleben. Oder will ich als Autorin unbedingt eines schreiben? Oder wollen meine Leserinnen unbedingt eines lesen? Das mit dem Happy End ist so eine Sache. Manchen Geschichten merkt man einfach an, dass sie gegen ihren Willen zu einem glücklichen Ende regelrecht gezwungen wurden. Ist das sinnvoll?
Das Genre „Heiterer Frauenroman“, in dem ich zur Zeit zu Hause bin, verlangt ebensosehr wie nach einer Liebesgeschichte nach einem Happy End. Und mit ihm die Helden und Heldinnen, die in ihm agieren. Also nehme ich in meine fiktionale Wohngemeinschaft nur Mitbewohner auf, die ein solches auch verkraften können. Sie müssen sozusagen ein gewisses Happy-End-Potential mitbringen, sonst wird das nichts mit der Rolle.
Bei Marie im ersten Roman war das ziemlich einfach. Die war am Anfang der Geschichte so frustriert und desillusioniert, dass quasi auch schon die kleinste Veränderung eine Verbesserung um etwa hundert Prozent gebracht hätte. Ihr Potential war also extrem hoch. Darin bestand jedoch auch die Gefahr. Denn hätte eine nur geringfügige Entwicklung schon das Happy End herbeigeführt, hätten sich die Leser vermutlich ziemlich gelangweilt. Deshalb durchlief Maries Geschichte sozusagen die verschiedensten Stadien des Tunings, bevor sie reif dafür war, auf die Leserschaft losgelassen zu werden.
Bei Emma im zweiten Roman war das etwas anders. Sie verlangte sozusagen schon von ihrer Gesamterscheinung her so sehr nach einem glücklichen Ausgang ihrer Geschichte, dass ich mir ein bißchen mehr einfallen lassen musste, um sie zufrieden zu stellen. Immerhin ziert die Rückseite des Buches die vielversprechende Überschrift „Erst das Happy End, dann die Liebe“. Emma setzte in Sachen Happy End also völlig neue Maßstäbe.
Da sie eifriger Konsument romantischer Kinokomödien war, war die Konkurrenz riesig. Ihr Happy End musste sich demnach an großen Idealen messen lassen. In jedem Kapitel wurden sie schließlich genannt, die Klassiker der Filmgeschichte und ihre gefühlvollen Finales. Ich habe keine Ahnung, ob es mir gelungen ist, mit diesen Vorbildern Schritt zu halten. Emma jedenfalls hat sich über den Ausgang ihrer Geschichte nicht beschwert. Und ein Leser bisher auch nicht...

Montag, 11. November 2013

Von Emma und mir (Teil II)

Im Gegensatz zu Marie war Emma in mehrfacher Hinsicht keine pflegeleichte Mitbewohnerin. Hatte erstere nicht besonders viele Hobbies und auch sonst ein recht einfach strukturiertes Leben (bis auf den bereits erwähnten Beruf), so war ihre Nachfolgerin schon aufgrund ihrer idealistischen Art das glatte Gegenteil. Marie war pragmatisch und realistisch, Emma eher verträumt, unrealistisch und hatte extreme Flausen im Kopf. Eine solche Mitbewohnerin konnte einen schon mal vor enorme Herausforderungen stellen.
Nachdem ich mich endlich mit ihrem Beruf, der Schneiderei, angefreundet und ein wenig vertraut gemacht hatte, kam doch diese Person tatsächlich auf den irrwitzigen Gedanken, beim Casting zu einem Werbespot mitzumachen. Nun gut, ganz freiwillig entschied sie sich nicht dazu, aber egal... ich musste mich mit den Folgen herumschlagen. Bei Filmproduktionen hatte ich ja schon einige Male mitgewirkt, von Werbedrehs allerdings überhaupt keine Ahnung. Und Castings fielen schon gar nicht in meinen Zuständigkeitsbereich.
Doch auch hier gab es Rettung. Eine Schauspielerin erbot sich, mir zum Thema Casting, Fitting und Werbedreh Rede und Antwort zu stehen. Hatte ich davor gedacht, dass ich durch meine eigene Filmerfahrung nicht mehr besonders viel Neues hören würde, so wurde ich eines Besseren belehrt. Und auch dass die Sicht einer Schauspielerin ganz anders ist als die eines Teammitglieds, stellte sich heraus.
Um Emmas Unerfahrenheit auf dem Gebiet nicht aus dem Auge zu verlieren, berichtete diese Schauspielerin von ihrem allerersten Werbedreh, an den sie sich glücklicherweise noch recht gut erinnern konnte. Vermutlich ist er ihr, gerade weil es der erste war, besonders gut im Gedächtnis geblieben. Jedenfalls erzählte sie äußerst anschaulich von ihren Eindrücken am Set und den Problemen mit dem Drehablauf. Fast hatte ich am Ende des Gesprächs das Gefühl, ich wäre selbst dabei gewesen.
So hatten Emma und ich auch dieses Problem elegant umschifft und konnten uns nun ganz entspannt der Vorbereitung ihres Happy Ends zuwenden. Dass auch das, wie im richtigen Leben, nicht so ganz einfach war, wird beim nächsten Mal zum Thema werden...

Freitag, 8. November 2013

Von Emma und mir

Wie mit meiner ersten Hauptfigur und Mitbewohnerin Marie hatte ich auch mit der zweiten, Emma, so manche Schererei. Auch letztere zog in meiner fiktionalen Wohngemeinschaft ein und stellte mich sofort vor scheinbar unlösbare Probleme. War bei Marie in der Hauptsache ihr Beruf als Informatikerin der Grund gewesen, so hatte ich von Emmas Profession, der Schneiderei, genauso wenig Ahnung. Und da sich deren Geschichte weit mehr als Maries an ihrer Arbeitsstelle abspielte, musste ich mich wohl oder übel wieder mal kundig machen.
Schnell war mir klar, dass ich in Büchern oder im Internet auf keinen Fall genügend praxisbezogene Informationen über das Schneiderhandwerk würde finden können. Also machte ich mich in München auf die Suche nach Schneidereien. Am liebsten hätte ich eine Werkstatt gefunden, die meiner Vorstellung vom Arbeitsplatz meiner Protagonistin sehr nahe kam, so dass ich alle Eckdaten sozusagen eins zu eins hätte übernehmen können.
Aber wie findet man einen solchen Laden? Die Recherche im Internet ergab nicht besonders viele Ergebnisse. Was nicht unbedingt ein Problem gewesen wäre, denn eine einzige Schneiderei hätte mir ja schließlich gereicht. Doch da die von mir aufgesuchten Schneiderinnen dann aus den verschiedensten Gründen keine Auskunft geben wollten, wurde es langsam eng.
Zum Glück erinnerte ich mich rechtzeitig an eine ehemalige Kollegin, die gelernte Schneiderin war und jetzt in einem Deko-Laden arbeitete. Nun gut, ein solches Geschäft sollte in meinem Roman nicht vorkommen, aber die grenzenlose Bereitschaft dieser Frau machte alles wieder wett. Denn sie beantwortete mir nicht nur sämtliche Fragen zum Arbeitsalltag einer Schneiderin, die sie mit einer Unmenge Anekdoten würzte.
Nein, zu ihr konnte ich auch während des Schreibens immer wieder kommen, als es darum ging, wie Emma die von ihr nachgeschneiderten Filmkostüme nach ihren eigenen Vorstellungen verändert. Denn dass das nicht meine eigenen laienhaften Vorstellungen vom Nähen und seinen Möglichkeiten sein konnten, war klar. So bekamen Emma und ich auf wundersame Weise eine Art Mentorin auf dem Gebiet der Schneiderei, die zumindest mir in mancherlei Hinsicht aus der Bredouille half. Leider war ihr Beruf nicht die einzige Nuss, die Emma mir zu knacken gab...

Mittwoch, 6. November 2013

Von einer Beziehung und ihren Folgen

Die Beziehung zwischen einem Autor und seinen Romanfiguren bleibt für beide Seiten meistens nicht ohne Folgen. Genauso wie ich als Schriftstellerin meine Protagonisten immer wieder verändere, beeinflussen auch die Figuren mich. Unser Zusammenleben in der fiktionalen Wohngemeinschaft wirkt sich aus – immer wieder.
Dass ich an meinen Figuren bis zum Ende der Romanarbeit herumbastle, sie ständig mit neuen Facetten ausstatte und manchmal auch noch kurz vor Schluss an ihrer Gesamterscheinung feile, versteht sich von selbst. Schließlich sollen sie im fertigen Werk in einer möglichst realistischen, stimmigen Gestalt auftreten. Und diese Gestalt tragen sie dann mit sich herum – Wochen, Monate, Jahre, vielleicht sogar in einer nächsten Auflage, einer neuen Übersetzung, einem Hörbuch oder einer Verfilmung.
Natürlich kann sich in jedem weiteren Bearbeitungsschritt wieder etwas verändern. Aber meistens bleiben die Figuren doch ihr Leben lang im Großen und Ganzen so wie sie einmal konzipiert worden sind. Harry Potter kann schließlich auch nicht im letzten Band sein Aussehen oder seinen Charakter grundlegend ändern. Er kann sich entwickeln, reifen, dazulernen, aber alles auf einmal ganz anders machen kann er nicht. Damit muss er leben. Für immer. Und das hat ihm einzig und allein seine Erfinderin eingebrockt.
Was aber brocken uns Autoren unsere Figuren ein? Harry Potter zumindest hat das Leben von Joanne K. Rowling sicher enorm verändert. Auch sie kann in Zukunft bestimmt nichts mehr in Angriff nehmen, ohne mit ihrem berühmtesten Protagonisten in Verbindung gebracht zu werden. Und alle weiteren Romanfiguren müssen sich an Harry Potter messen lassen, und ihre Autorin mit ihnen. Das kann auch zum Problem werden.
Nun habe ich natürlich noch keine so bekannte und damit beherrschende Figur geschaffen. Trotzdem verändern auch meine Protagonisten mein Leben immer wieder. Mit der ersten Hauptfigur entscheidet sich oft, welche Art von Literatur man schreiben will. Die Basis für die fiktionale Wohngemeinschaft wird mit ihr gelegt und meistens auch die Richtung, in die sich das Ganze entwickeln soll. Dabei kann sich auch herausstellen, dass der erste Versuch wohl nicht der beste war. Aber einen Weg gibt sie vor, die erste Figur. Sie wird sozusagen zu einer Art Leithammel beim WG-Wandertag. Und beeinflusst manchmal noch lange nach ihrem Auszug den Rest ihrer Mitbewohner und ihren Erfinder...

Montag, 4. November 2013

Von Onkels und Tanten

Trotz des irgendwie geschäftlich anmutenden Mietverhältnisses zu meinen Romanfiguren bin ich als Schriftstellerin natürlich auch so etwas wie deren „Mutter“. Schließlich bin zunächst ich allein für ihre Entstehung verantwortlich und auch dafür, wie sie schlußendlich aussehen. Die Protagonisten haben sozusagen meine Gene und wachsen unter meiner Obhut auf. Und wenn etwas Anständiges aus ihnen geworden ist, bin ich sehr stolz. Da kann man schon mal Muttergefühle bekommen.
Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem sich andere in die Erziehung mit einmischen. Zu Beginn sind es die Testleser, die man sich im privaten Umfeld sucht, damit sie ihre Meinung sagen. Danach dann der erste Lektor und eventuell auch noch ein zweiter. Vielleicht gibt es auch noch einen Agenten, der am Manuskript mitarbeitet oder irgendwann später sogar einen Drehbuchautor, der so manches anders haben will...
All diese wohlmeinenden Onkels und Tanten helfen uns bei der Erziehung unserer Romanfiguren. Doch was bedeutet das für uns als „Eltern“ und für unseren Nachwuchs? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es dem einen oder anderen Protagonisten ganz gut tut, wenn ein Außenstehender bei der Entwicklung mithilft. Manchmal sind wir als Autoren nämlich so nah an unserer Geschichte und den Figuren, dass wir nicht mehr beurteilen können, ob sie gut gelungen sind oder nicht ganz so gut.
Im Gegensatz zur Realität weiß ich also als „Mutter“ nicht immer, was das Beste für mein „Kind“ ist. Denn ich habe meine Vorstellung von ihm, die ich ab und zu auch wieder hinterfragen muss, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Und schließlich kann eine Romanfigur nicht selbst widersprechen, wenn ich mir in den Kopf gesetzt habe, dass sie jetzt diesen oder jenen Mann heiraten soll. Ob es allerdings gut für ihren weiteren Lebensweg ist, kann ein Lektor manchmal vielleicht besser beurteilen.
Deshalb ein Danke an alle Onkels und Tanten, die sich unermüdlich in die Erziehung unserer Romanfiguren einmischen und so mit dafür verantwortlich sind, dass aus ihnen etwas Anständiges wird!