Auf
der Flucht vor den neuen grauen Herren
Würde
Michael Endes Momo in Zeiten von Corona leben, so hätte sie ein paar
Eigenschaften, die für sie und andere in der Krise hilfreich sein könnten. Da
sie besonders gut zuhören kann und bei ihren Gesprächspartnern die Phantasie
stark anregt, wäre sie in der kontaktarmen Coronazeit vermutlich noch beliebter
als sie es ohnehin war.
Mit
ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten könnte sie den durch Ausgangsbeschränkung
und Arbeitsausfall deprimierten und gelangweilten Mitmenschen nicht nur ihre
ungeteilte Aufmerksamkeit schenken, sondern ihnen auch zu ungeahnten neuen
Ideen verhelfen, wie sie die unverhofft gewonnene Zeit sinnvoll und positiv
nutzen können. Alles mit Abstand, versteht sich! Unter Umständen wäre ihr Tipp ab und zu auch nur der, einfach mal
gar nichts zu tun, wenn man schon die Möglichkeit dazu hat...
Da
ihre Begleiterin, die Schildkröte Kassiopeia, die Gabe besitzt, eine halbe
Stunde in die Zukunft sehen zu können, könnte sie außerdem sämtliche
Abstandsregeln perfekt einhalten. Denn wer von uns stand in den vergangenen
Wochen nicht schon mal auf einem schmalen Weg oder in einem engen
Supermarkt-Gang und hat sich insgeheim gewünscht zu wissen, welchen Weg sein
Gegenüber wohl in der nächsten Minute einschlagen wird.
Momo
wäre also in vielerlei Hinsicht die perfekte Freundin in einer Coronakrise…
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geht’s übermorgen mit Madame Bovary!
Schiffbruch
mit Corona
Ziemlich
klar liegt der Fall natürlich bei Daniel Defoes Robinson Crusoe. An ihm und
seinen Lebensumständen hätten Markus Söder und Co. in Bezug auf die
Corona-Beschränkungen ihre helle Freude. Schließlich hat Robinson Crusoe auf
seiner einsamen Insel ausschließlich Kontakt zu seinem Gefährten Freitag, mit
dem er auch noch in einem Haushalt lebt (falls man das so nennen kann). Was für ein Glück!
Die
beiden wiederum haben (zumindest vor ihrer Rettung von der Insel) keinerlei
Kontakt zu irgendjemand anderem und können demnach weder Personen infizieren
noch von ihnen infiziert werden. Perfekte Quarantäne-Bedingungen in einer
Corona-Krise.
Diese
Versuchsanordnung hat nur den einen Haken, dass die beiden in ihrer idealen
Abgeschiedenheit überhaupt nichts vom Virus und seinen Gefahren mitbekommen
würden. Somit könnten sie sich auch nicht über ihre rundherum komplett
geschützte und sozusagen immune Situation freuen, sondern würden einfach
weiterleben wie vor dem Ausbruch der Krankheit.
Der Stoff für neue Geschichten,
Impulse oder Ideen ist bei Robinson Crusoe also denkbar gering und kann getrost
vernachlässigt werden!
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geht’s übermorgen mit Momo!
Eine
Woche voller Corona-Tage
Wer
hätte nicht gerne ein Sams zu Hause? Dieser Satz gilt wahrscheinlich zu jeder
Zeit, am meisten allerdings sicherlich in einer Corona-Krise. Schließlich hat
Paul Maars Sams sogenannte Wunschpunkte im Gesicht, mit denen es nahezu jeden
Wunsch im Handumdrehen erfüllen kann. Bei Kontaktsperre, Ausgangsbeschränkung
oder einer Quarantäne wäre es also der ideale Mitbewohner.
Keine
Panik bei leeren Klopapier-, Mehl- oder Desinfektionsmittel-Regalen! Nur nicht
nervös werden trotz Lieferengpass bei Nudeln, Hefe und Mundschutz! Ohne
Probleme könnte das Sams seinem Papa Taschenbier alle Lebensmittel und
Gebrauchsartikel, die sein Herz begehrt, sofort herbeizaubern – eine
Vorstellung, die für uns momentan an eine Utopie grenzt! Wer stand nicht in den
letzten Wochen das eine oder andere Mal enttäuscht vor einem komplett leeren Supermarkt-Regal
und hat gezwungenermaßen den Speiseplan kurzfristig umgestellt… oder
improvisiert.
Das
Einkaufen mit Sams-Wunschpunkten hat außerdem den unschätzbaren Vorteil, dass man
sich nicht mit Mundschutz und Abstandsregel herumschlagen muss, sondern bequem
von zu Hause aus „bestellen“ kann und nicht einmal Lieferzeiten beachten muss. Gewünscht,
getan – in einer Coronakrise wäre das noch praktischer als sonst.
Sollten
allerdings die Wunschpunkte aufgebraucht sein, bevor die Krise überwunden und
sämtliche Beschränkungen aufgehoben sind, wird es vermutlich eng. Und sollte
sich Herr Taschenbier aus Angst vor diesem Punkt in exzessivem
„Hamsterwünschen“ ergehen, sich also nicht nur eine Packung Klopapier, sondern
gleich tausend wünschen, dann stellt sich allerdings schon die Frage, ob das sozialer wäre
als ein normaler Hamsterkauf. Irgendwo müssten die zahlreichen Packungen ja schließlich
herkommen. Und dort fehlten sie dann… wie im richtigen Leben!
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geht’s übermorgen mit Robinson Crusoe!
Kontaktsperre
XXL
Wenn
Romeo und Julia in Zeiten von Corona leben würden, hätten sie wohl mit das
schwerste Los aller Protagonisten der Weltliteratur überhaupt. Immerhin spielt
Shakespeares Drama im norditalienischen Verona, also in einer der vom Virus am
stärksten betroffenen Gegenden. Hatten die beiden Liebenden es schon im
ursprünglichen Szenario ihrer verfeindeten Familien nicht gerade leicht, so
wäre es für sie im Italien der Coronakrise ein Ding der Unmöglichkeit, sich zu
treffen und zu lieben.
Verfeindete
Familien, Ausgangsbeschränkungen, Kontaktsperre – welche Liebe soll eine solche
Belastung vor allem in der Kennenlernphase heil überstehen? Da die beiden sich
allerdings schon in Shakespeares Drama nicht an das ihnen auferlegte Kontaktverbot
hielten, wäre zu vermuten, dass sie sich sogar in einer Coronakrise heimlich
treffen würden, um ihre Sehnsucht zu stillen.
Was
aber könnte das für Folgen haben? Man darf gar nicht daran denken, was
passieren würde, wenn einer von beiden an Corona erkranken würde. Zum einen
müssten sie alle ihre Kontaktpersonen nennen, was sie bei hoffentlich
vorhandenem Verantwortungsgefühl auch tun würden. Aufgrund der Fehde der
Familien Capulet und Montague würde jedoch eine Offenlegung der Liaison wahrscheinlich
einem Todesurteil gleichkommen.
Zum
anderen könnten die Liebenden ihre Familienmitglieder mit dem Virus infizieren,
so dass aufgrund der schwierigen medizinischen Versorgung in Italien auch ein
Verwandter (oder sogar mehrere) zu Tode kommen könnte. Das Schuldgefühl, dies
durch egoistisch-verliebte Handlungsweise verursacht zu haben, würden beide
vermutlich nicht mehr loswerden. Es ist also zu vermuten, dass das Ende vom
Lied tatsächlich ähnlich dem tödlichen Ausgang von Shakespeares ursprünglichem
Drama wäre. Ob mit oder ohne Corona, Romeo und Julia enden also in jedem Fall
tragisch. Schicksal.
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geht’s übermorgen mit dem Sams!
Hände
hoch… aber bitte mit Abstand!
Hotzenplotzs
Räuberhöhle ist unter Quarantäne-Gesichtspunkten kein ungeeignetes Domizil –
abgelegen im Wald und kaum für die Öffentlichkeit zugänglich. Dazu kommt, dass
Otfried Preußlers Räuber vermutlich mit dem Tragen einer Atemschutzmaske
keinerlei Probleme hätte. Immerhin kann ihm eine derartige Vermummung für seine
Raubzüge nur dienlich sein.
Wie
es allerdings mit dem Abstandhalten aussieht, sei dahingestellt. Schließlich
sind die typischen beruflichen Tätigkeiten eines Räubers, wie zum Beispiel
Fesseln, Knebeln oder Verschleppen, schlecht mit einem Körperabstand von zwei
Metern möglich. Augen auf bei der Berufswahl!
Mit
Sicherheit wäre die Welt des Räuber Hotzenplotz allein dadurch auf den Kopf gestellt,
dass während der Corona-Krise plötzlich völlig neue Werte eine ungeahnte
Bedeutung erlangen. In Preußlers Buch ist Gold der Inbegriff von Reichtum und
ohne Zweifel das favorisierte Diebesgut des Räubers. Was würde er wohl davon
halten, dass momentan Klopapier, Trockenhefe, Desinfektionsmittel und
Atemschutzmasken die Bestseller der Deutschen sind? Vermutlich würde er sich
nur ungern dazu durchringen, derart profane Dinge auf seinen Beutezügen ins
Visier zu nehmen und in Massen in seiner Räuberhöhle zu horten.
Schwere
Zeiten würden demnach in einer Coronakrise auf Räuber Hotzenplotz zukommen:
Deutlich weniger Passanten, die unterwegs sind und die man überfallen kann.
Völlig uninteressante Dinge, die gekauft und damit erbeutet werden. Und, last
but not least, dank zunehmend bargeldlosem Zahlungsverkehr, viel weniger Münzen
und Scheine im Umlauf, die sich zum Stehlen anbieten. Leere Kassen, leere
Geldbeutel – ein Albtraum für Räuber Hotzenplotz!
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geht’s übermorgen mit Romeo und Julia!
Du
bist für deine Reise verantwortlich
„Das
Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“ – es gibt kaum einen Satz in der
Weltliteratur, der auf das Corona-Virus besser zutrifft als dieser Satz aus
Antoine de Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“.
Betrachtet man ihn allerdings im
Gesamtzusammenhang des Textes, dann verliert er in der Krise seine Aussagekraft
leider vollkommen. Denn auch „mit dem Herzen“, wie im ersten Teil des berühmten
Zitats vorgeschlagen, sieht man den Corona-Erreger keinen Deut besser als mit
den Augen. Die allseits beliebten Weisheiten des kleinen Prinzen helfen uns
also in der momentanen coronageplagten Zeit nicht weiter.
Im
Gegenteil. Sein Verhalten wäre in Krisenzeiten mit Fug und Recht als extrem
fahrlässig zu bezeichnen. Immerhin begegnete er auf seiner Reise immer wieder
nur einzelnen Personen, die alle einen ganzen Planeten allein bewohnten, mit
Kontaktsperre also keinerlei Probleme hatten… zumindest bevor dieser kleine
Prinz, der sich an keinerlei Reisewarnungen und Ausgangsbeschränkungen hält,
bei ihnen aufgetaucht ist und so das Virus munter von einem Planeten zum
anderen verbreitet hätte.
Die
Infektionskette wäre also überhaupt nicht schwer nachzuvollziehen und die damit
verbundene Quarantäne auch sofort wieder ohne Schwierigkeiten einzuhalten.
Jeder bliebe einfach brav allein auf seinem Planeten, und wenn nicht wieder ein
gelangweilter, reiselustiger kleiner Prinz von einem Planeten zum anderen
gondeln würde, hätte sich Corona innerhalb kürzester Zeit von selbst erledigt…
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geht’s übermorgen mit Räuber Hotzenplotz!
Quarantäne
in der widdewidde Villa Kunterbunt
„Zwei
mal drei macht vier, widdewiddewitt und drei macht neune“ – bei einer derart
großzügigen Rechenweise würde der gute Herr Spahn in diesen Zeiten vermutlich
Magenkrämpfe bekommen. Zum Glück ist nicht Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf
für die Ermittlung der Infiziertenzahlen in Deutschland verantwortlich. Und sie
wäre es auch nicht, wenn sie in Zeiten von Corona leben würde. Was aber würde
sie tun, wenn sie in die Situation käme, in der wir alle uns momentan befinden?
„Ich
mach‘ mir die Welt… widdewidde wie sie mir gefällt“ wäre auch für Pippi in der
Coronakrise nicht so einfach. Die eher konservativen Eltern von Tommy und
Annika würden ihren beiden Kindern sicher nicht erlauben, sich trotz
Ausgangsbeschränkung mit dem unkonventionellen Nachbarmädchen zu treffen. Und
das wäre ja auch nachvollziehbar und richtig. Und da Pippi bei aller
Unangepasstheit ein großes Verantwortungsgefühl besitzt, würde sie sich
vermutlich auch nicht darüber hinwegsetzen.
Trotz
Ausgangsbeschränkung würde Pippi aber vermutlich kaum die Decke auf den Kopf
fallen. Hätte sie doch ihre Mitbewohner Kleiner Onkel und Herr Nilsson, die
nach bisherigen Erkenntnissen auch nicht unter die Abstandsregel fallen
dürften. Die Villa Kunterbunt wäre also fast schon automatisch eines der
geeignetsten Quarantäne-Domizile, die es gibt. Und da Astrid Lindgrens
Bücherheldin eine überschäumende Phantasie besitzt, wäre sie vermutlich in
ihrer Kreativität kaum zu bremsen.
Mit Pferde-in-die-Luft-stemmen würde sie
wahrscheinlich locker kompensieren, dass das Fitnessstudio nicht geöffnet hat.
Und mit Konrads Spezialkleber könnte sie, selbst wenn Besuch kommt, auch im
kleinsten Raum mühelos die strengen Abstandsvorgaben einhalten. In jedem Fall
gäbe es genügend Stoff für eine neue Pippi-Geschichte…
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geht’s übermorgen mit dem kleinen Prinz!
Corona
bestimmt gerade unser ganzes Leben. Es bestimmt unsere Arbeit, unsere
Freizeitaktivitäten, unser Einkaufsverhalten, unsere Nachrichtenthemen, die
sozialen Medien… Keiner hat die Möglichkeit, sich nicht damit zu beschäftigen.
Im Normalfall haben wir gerne mal die Tendenz, uns bei bestimmten Themen nicht
angesprochen zu fühlen. Klimaschutz? Geht mich nichts an. Rechtsradikalismus?
Betrifft mich nicht. Flüchtlingsströme? Zu weit weg. Altersarmut? Hat mit mir
nichts zu tun.
Beim
Problem Corona kann sich keiner so richtig raushalten. Die Jugend hat es eine
gewisse Zeit hartnäckig versucht, doch jetzt muss auch sie erkennen, dass sie das
Thema nicht ignorieren kann. Verantwortliche mancher Bundesländer und Staaten
dachten eine Zeit lang, sie könnten das Virus von ihrer Region fern halten.
Aber auch das hat sich als Trugschluss erwiesen.
Die
Romanhelden unserer Lieblingsbücher müssen sich im Gegensatz zu uns nicht mit
dem Virus und seinen Folgen herumschlagen. Sie leben, zumindest was Corona
betrifft, in einer „heilen Welt“, die wir uns gerade alle so sehr wünschen - eine
Welt ohne Corona. Doch warum sollen wir es den Protagonisten unserer
Lieblingsbücher so leicht machen?
Vielleicht können wir uns sogar das eine oder
andere Patentrezept von ihnen abschauen, wenn wir uns kurz einmal überlegen,
wie sie mit einer Coronakrise umgehen würden. Zumindest wäre eine solche
Überlegung ein völlig neuer Blickwinkel auf die momentane Problematik. Und neue
Blickwinkel sind immer einen Versuch wert, eventuell eine Chance für neue
Impulse oder wenigstens ein bisschen unterhaltsam…
Deshalb
viel Spaß in den nächsten Wochen mit meinen völlig fiktiven Spekulationen
darüber, wie die Protagonisten unserer Lieblingsbücher mit der Coronakrise
umgehen würden! Und vielleicht fällt Euch dazu ja auch noch was ein…
Los
geht’s übermorgen mit Pippi Langstrumpf!