Samstag, 3. März 2018

Von Atticus Finch und der Menschlichkeit

Eine der beeindruckendsten Romanfiguren der Literaturgeschichte ist für mich der Anwalt Atticus Finch aus Harper Lees Buch „Wer die Nachtigall stört“. In seiner absoluten Vorurteilsfreiheit und Rechtschaffenheit ist er ein gelungenes Beispiel für ganz selbstverständlich praktizierte Menschlichkeit. Als solches ist er in der heutigen Zeit, vor allem auch in Amerika, wieder aktueller denn je.
Atticus Finch ist alleinerziehender Vater und für seine Kinder Freund, Vertrauter, Lehrer und Autorität zugleich. In Zeiten von Rassismus, Intoleranz und Vorurteilen schafft er es bravourös, ihnen grundlegende Werte so zu vermitteln, dass sie diese nicht nur ganz selbstverständlich verinnerlichen, sondern auch deren Inhalt und Bedeutung verstehen.
Als Anwalt vereinigt Atticus sowohl Intelligenz als auch einen unerschütterlichen Gerechtigkeitssinn in sich. Im Gerichtsverfahren gegen den schwarzen Farmarbeiter Tom Robinson verteidigt er den Angeklagten mit Scharfsinn und Vorurteilsfreiheit, obwohl er dafür wiederholt angefeindet wird und sich selbst sogar in Gefahr bringt. Er steht auch in der ausweglosesten Situation für seine Überzeugung ein und lässt sich in keinster Weise davon abbringen.
Seinen Kindern vermittelt er ausnahmslose Gewaltlosigkeit und Respekt vor jedem einzelnen Menschen, auch vor den Außenseitern der Gesellschaft. Dabei lässt er sich weder von kindlichem Charme noch von der Sturheit seiner Tochter Scout aus dem Konzept bringen. Trotz aller Geradlinigkeit bleibt er in jeder Lage ruhig und besonnen und lässt sich nie auch nur im Geringsten provozieren.
Was aber Atticus Finch in seiner Vorbildhaftigkeit auch noch sympathisch macht, ist die Tatsache, dass er seine vielen positiven Eigenschaften mit solcher Selbstverständlichkeit und Unaufdringlichkeit lebt, dass man sich sicher des Öfteren eine Scheibe davon abschneiden könnte. Somit hat Harper Lee damals eine Romanfigur geschaffen, die auch nach über 50 Jahren nichts von ihrer Kraft verloren hat und in unserer heutigen Welt wichtiger wäre denn je.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen