Mittwoch, 21. August 2013

Vom eigenen und dem erfundenen Leben

Wie sehr die Leser eines Buches den Verfasser des Textes mit dem Geschriebenen in Verbindung bringen, wurde mir erst nach Erscheinen meines ersten Romans bewusst. Ab und zu verschwimmen da offensichtlich für manchen die Grenzen zwischen der WG-Inhaberin und ihren diversen Mitbewohnern. Einige meiner Bekannten haben „Dann gute Nacht, Marie“ vermutlich nur gelesen, um etwas mehr über mich zu erfahren. Warum auch nicht?
Immerhin fand ich die Geschichte offensichtlich interessant genug, um ein potentielles Publikum damit zu behelligen. Das sagt etwas über mich. Und ich hielt meine Mitbewohnerin Marie für so besonders, dass sie als Identifikationsfigur für möglichst viele Leserinnen herhalten musste. Auch das sagt etwas über mich. Nämlich darüber, welche Menschen und Themen mich interessieren. Mit welchen Menschen und Themen ich mich über Wochen und Monate beschäftigen kann und möchte. Wen ich in meine fiktionale Wohngemeinschaft aufnehme, sagt also etwas über meine Sympathien aus.
Über mein eigenes Leben dagegen sagt es nichts. Denn ich schreibe keine Biographien oder Tatsachenberichte. Ich schreibe fiktionale Texte, die, wie der Name schon sagt, frei erfunden sind. Trotzdem kann sich das eine oder andere Detail aus dem wirklichen Leben durchaus mal einschleichen. Und zwar nicht nur aus meinem eigenen. Für die Details aus dem Leben anderer habe ich immer ein kleines Buch dabei, in das ich witzige Erlebnisse notiere, um sie nicht zu vergessen. Solche Anekdoten eignen sich manchmal hervorragend, um sie in eine Romanhandlung einzubauen. Meistens sind es Vorfälle, die man beim Erfinden als zu unglaubwürdig wieder verwerfen würde.
Meine Freunde und Familie haben beim Lesen meines ersten Romans durchaus einige Aspekte gefunden, die sie an mich erinnerten. Wahrscheinlich verwertet man beim ersten Mal auch deutlich mehr eigenes als in späteren Werken. Trotzdem war es meiner Mutter vermutlich nicht immer angenehm auf die angeblichen Selbstmordabsichten ihrer Tochter angesprochen zu werden. Denn einige ihrer Bekannten konnten da offensichtlich nicht so ganz unterscheiden zwischen der Romanfigur und ihrer Schöpferin.
Und nur allzu oft wurde mir selbst die Frage gestellt: „Hat dein Roman einen autobiographischen Hintergrund?“ Der ängstliche Ausdruck in den Augen des Fragenden zeigte dabei meist deutlich, dass ein „Ja“ zu großen Irritationen bezüglich meiner Person geführt hätte. So nach dem Motto: Warum habe ich nur in all den Jahren nichts davon gemerkt?
Da versteht man dann plötzlich noch viel besser, warum es Klausjürgen Wussow leid war, als „Doktor Brinkmann“ angesprochen zu werden, oder Romy Schneider auf keinen Fall mehr „Sissi“ sein wollte. Zum Glück konnten meine Mutter und ich ja jedes Mal mit „Nein“ antworten, so dass die Welt für alle Beteiligten schnell wieder in Ordnung war. Vielleicht sollte ich mal ein Universalgenie oder eine weltberühmte Autorin in meine fiktionale Wohngemeinschaft aufnehmen. Ob man hinter einem solchen Roman wohl auch einen autobiographischen Hintergrund vermuten würde?

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