Dienstag, 8. Oktober 2013

Vom Mit- und Gegeneinander

In einer Wohngemeinschaft stellt sich üblicherweise nicht nur die Frage, wie ich als Hauptmieterin mit den einzelnen Mitbewohnern klarkomme. Auch die anderen Parteien müssen möglichst in Frieden miteinander leben. Nun sollte man meinen, dass das bei erfundenen Romanfiguren nicht so das Problem sein kann. Schließlich können die sich nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen, sich beschimpfen oder Vorwürfe machen. Trotzdem kämpfen die Protagonisten gerne mal gegeneinander und zwar um meine Gunst.
Zu Beginn der Konzeptionsphase sind alle Figuren neu eingezogen und mir, der Schriftstellerin und Hauptmieterin, natürlich ziemlich unbekannt. Von manchen weiß ich da noch nicht einmal den Namen. Und wie im richtigen Leben interessieren mich einige mehr als andere. Über die weiß ich, auch wie im richtigen Leben, also recht schnell mehr als über den Rest. Das passt dem Rest natürlich überhaupt nicht. Er fühlt sich vernachlässigt. Oder richtiger gesagt: mein schlechtes Gewissen gegenüber den stiefmütterlich behandelten Figuren steigt.
Also zwinge ich mich mehr oder weniger dazu, mich mit den mir weniger nahen Protagonisten zu beschäftigen. Manchmal erfahre ich dabei so viel und so interessantes über den einen oder den anderen, dass die Figur in meiner Gunst steigt. Was wiederum einer zuvor bevorzugten nicht passt. Und so weiter und so weiter. Das führt zu der Frage, ob die absolute Gleichbehandlung aller Romanfiguren bzw. Mitbewohner möglich oder gar sinnvoll ist. Muss ich als Schriftstellerin über alle meine Protagonisten gleich viel wissen?
Vermutlich nicht. Wie im richtigen Leben gibt es auch im Roman Personen, die eine größere oder eine eher untergeordnete Rolle spielen. Figuren, denen man häufiger oder eben nicht so oft begegnet und über die man auch als Schriftsteller entsprechend mehr oder weniger weiß. Und genauso wird es auch dem Leser gehen. Auch er erfährt über manche Figuren mehr und über andere weniger. Trotzdem ist aber ein friedliches Miteinander der Protagonisten eines Romans möglich. Und wenn die Konzeptionsphase einmal geschafft ist und die Figuren im Großen und Ganzen entworfen sind, dann kehrt auch wieder Ruhe ein in meiner fiktionalen Wohngemeinschaft. Dann hat jeder den Platz, der ihm zusteht, und gekämpft wird nicht mehr. Und wenn sie nicht gestorben sind...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen