Sonntag, 7. Juli 2024

Bücherhelden der Fußball-EM-Länder (11)

Die Deutschen in „Der Markisenmann“

Die Deutschen mussten sich vorgestern in Stuttgart den Spaniern geschlagen geben und in Jan Weilers „Der Markisenmann“ einen ungewöhnlichen Sommer im Ruhrgebiet verbringen:

Was wissen wir schon über unsere Eltern? Meistens viel weniger, als wir denken. Und manchmal gar nichts. Die fünfzehnjährige Kim hat ihren Vater Ronald noch nie gesehen, als sie von ihrer Mutter über die Sommerferien zu ihm abgeschoben wird. Der fremde Mann erweist sich auf Anhieb nicht nur als ziemlich seltsam, sondern auch als der erfolgloseste Vertreter der Welt. Aber als sie ihm hilft, seine fürchterlichen Markisen im knallharten Haustürgeschäft zu verkaufen, verändert sich das Leben von Vater und Tochter für immer.

Überraschend und deshalb besonders schön für mich waren an dieser tiefgründigen und trotzdem unterhaltsamen Geschichte das atmosphärische Sommerflair des Ruhrgebiets und der zauberhafte Charme eigentlich sonderbarer Außenseiter, wie Ronalds Kneipenkumpels Lütz, Achim und Oktopus – rundum eine gelungene Mischung aus Witz und Melancholie.

Ein Buch über das Erwachsenwerden und das Altern, über die Geheimnisse in unseren Familien, über Schuld und Verantwortung und das orange-gelbe Flimmern an Sommerabenden, wie gemacht für ein neues deutsches Sommermärchen…

 

Montag, 1. Juli 2024

Bücherhelden der Fußball-EM-Länder (10)

Die Spanier in „Der Schatten des Windes“

Die Spanier bekamen es gestern in Köln mit den Georgiern zu tun und in Carlos Ruiz Zafóns „Der Schatten des Windes“ mit der spanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts:

Der zehn Jahre alte Daniel Sempere aus Barcelona wird während der Franco-Ära von seinem Vater, einem Buchhändler, mit dem Daniel allein lebt, zu einer verborgenen Bibliothek, dem „Friedhof der Vergessenen Bücher“ geführt. Er darf sich ein Buch heraussuchen und wählt den Roman „Der Schatten des Windes“ des unbekannten Autors Julián Carax. Von nun an lässt ihn die Geschichte und das Schicksal dieses Werks nicht mehr los, zumal noch andere, rätselhafte Gestalten sich für die Ausgabe interessieren. Ruiz Zafóns gleichnamiger Roman erzählt vom Leben des Autors Julián Carax, von der Entstehung seines Romans und von der Suche Daniels nach dem Autor und der Lösung der Rätsel.

Dies alles erzählt „Der Schatten des Windes“ auf originelle, kunstvoll gebaute Art und Weise, und schließt auch wundervolle Schilderungen der düsteren Atmosphäre von Barcelona von seiner morbiden Blüte zur Jahrhundertwende bis zum Tiefpunkt der Franco-Ära ein…

Dienstag, 25. Juni 2024

Bücherhelden der Fußball-EM-Länder (9)

Die Dänen in „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“

Die Dänen sind heute in München mit Serbien konfroniert und in Peter Høegs „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ in Kopenhagen mit einem mysteriösen Unfall:

Der fünfjährige Inuk-Junge Jesaja stürzt vom Dach eines Wohnblocks in Kopenhagen in den Tod. Die Polizei geht von einem Unfall aus und vermutet, der Junge habe auf dem Dach gespielt. Doch die in Grönland aufgewachsene Smilla Jaspersen, die im selben Haus wohnt, erkennt aus Jesajas Fußspuren im Schnee auf dem Dach, dass er in panischer Flucht auf die Kante zugelaufen ist. Zudem weiß sie, dass er Höhenangst hatte und niemals in spielerischer Absicht auf das Dach gestiegen wäre.

Smilla, Tochter einer Inuk und eines dänischen Arztes, lebt als arbeitslose Wissenschaftlerin in Kopenhagen und ist mit sich selbst nicht im Reinen. Anderen Menschen gegenüber verhält sie sich schroff und abweisend, hat sich jedoch in letzter Zeit mit Jesaja angefreundet, der in prekären Verhältnissen mit seiner alkoholabhängigen alleinerziehenden Mutter in der Nachbarwohnung lebte und in Smilla eine Ersatzmutter sah.

Getrieben von der Freundschaft zu Jesaja und ihrem Zorn über seinen offenbar provozierten Tod macht sie sich daran, die Sache selbst zu untersuchen. Und ihre aufregende Odyssee führt sie bis ins grönländische Eismeer…

Sonntag, 23. Juni 2024

Bücherhelden der Fußball-EM-Länder (8)

Die Schweizer in „Das Leben ist gut“

Die Schweizer spielen heute in Frankfurt gegen die Deutschen und auch in Alex Capus‘ Roman „Das Leben ist gut“ eine große Rolle:

Im Zentrum der Handlung von „Das Leben ist gut“ steht die Sevilla-Bar, eine – wie der Name schon sagt – spanische Kneipe, eine Tapas-Bar irgendwo in einer mittelgroßen Stadt in der Schweiz. Gegen Abend wird das schwere Rollgitter hochgeschoben. Dann öffnet die Bar, die üblichen Flaschen an den Wänden, ein ausgestopfter Stierkopf über dem Tresen. Dort sitzen sie an den abgewirtschafteten Holztischen, die Frauen, die sich einander zuwenden, die Stammgäste und die stillen Trinker am Tresen, eben die unterschiedlichsten Schweizer. Der Ich-Erzähler Max zapft das Bier und leert die Aschenbecher.

Er ist seit 25 Jahren mit Tina verheiratet, der Liebe seines Lebens. Max liebt sein Leben, so wie es ist, seine Familie, seine Freunde. Das wird ihm einmal mehr bewusst, als Tina zum ersten Mal in ihrer gemeinsamen Ehe beruflich ohne ihn unterwegs ist. Max bringt das allerdings nicht aus der Ruhe, er kümmert sich um die Kinder und um seine Bar.

Und macht sich Gedanken. Über das Fortgehen und Wiederkommen, über Vertrautes und Fremdes, über das Unterwegssein, über das Suchen und Finden, über das Glück, die Zufriedenheit und die Liebe. Er hat seine Stadt noch nie verlassen, von Urlaubsreisen einmal abgesehen, hat noch nie woanders gelebt. Und kann sich das auch nicht vorstellen. Bodenständigkeit als Lebensentwurf: Max geht es nicht um Selbstfindung durch rastloses Umherirren, sondern um das alltägliche Glück durch Verharren an ein und demselben Ort.

Von diesem Glück handelt Alex Capus‘ Roman „Das Leben ist gut“, dessen Erzählung fast unauffällig dahinzuplätschern scheint und aber gerade darin eine unglaubliche Tiefe entfaltet. Wenn man sich auf diese Geschichte, kann man mehr erleben als in so manchem Krimi…

Freitag, 21. Juni 2024

Bücherhelden der Fußball-EM-Länder (7)

Die Österreicher in den Brenner-Krimis

Die Österreicher stehen heute in Berlin Polen gegenüber und auch im Mittelpunkt von Wolf Haas‘ Brenner-Krimis:

Der Privatdetektiv Simon Brenner stammt aus dem Grazer Bezirk Puntigam und ist Junggeselle. Seit er sich das Rauchen abgewöhnt hat, bekommt er regelmäßig Migräneanfälle. Vor zwölf Jahren hat ihn seine Verlobte Josefine, kurz Fini, verlassen. Doch Brenner schließt ohnehin schnell Frauenbekanntschaften.

Bei der Kripo ist Brenner aufgrund seines eigenwilligen Vorgehens nie über den Rang eines Inspektors hinausgekommen. Er hat Schwierigkeiten mit seinem neuen Vorgesetzten Nemec und kündigt daher. Seitdem ist er beim Detektivbüro Meierling. Sein letzter Fall als Kriminalbeamter in Zell am See, wo zwei tiefgefrorene Leichen gefunden werden, ist zugleich sein erster als Detektiv. Danach ermittelt er in der Steiermark, wo in der Klöcher Grillhendlstation Menschenknochen unter den Hühnerknochen aufgetaucht sind. Dann beendet er den Detektivberuf und geht zur Rettung, um sich nicht mehr mit Mord und Totschlag beschäftigen zu müssen. Doch auch dort wird er in Mordfälle verwickelt. Später ermittelt er wieder als Privatdetektiv im Internat einer Salzburger Klosterschule und im Wiener Augarten. Schließlich kehrt Brenner nach Graz zurück, wo er mit seinen Jugendsünden konfrontiert wird und in Lebensgefahr gerät. Daraufhin beendet er abermals das Detektivdasein und wird Privatchauffeur, um in seinem bisher letzten Fall in eine Entführungsgeschichte verwickelt zu werden.

Wolf Haas hat mit seinen witzigen Brenner-Krimis das Genre aufgemischt und dabei genau den Nerv der Zeit getroffen. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und unter anderem mit dem Deutschen Krimipreis, dem Burgdorfer Krimipreis, dem Literaturpreis der Stadt Wien und dem Wilhelm-Raabe-Preis ausgezeichnet. In seinen Büchern erzählt er von alltäglichen Niederlagen, monumentalen Siegen, dem Jagen von Verbrechern und in zynischem Ton auch mal von der Liebe…

Donnerstag, 20. Juni 2024

Bücherhelden der Fußball-EM-Länder (6)

Die Engländer in „Der Sommer der Pinguine“

Die Engländer bekamen es heute in Frankfurt mit den Dänen zu tun und in Thomas Montassers „Der Sommer der Pinguine“ mit einer höchst sonderbaren Situation:

Treffender als mit dem Prädikat „very british“ könnte man die skurrile Geschichte „Der Sommer der Pinguine“ nicht beschreiben. Doch vielleicht hat sie gerade deshalb etwas sehr Erfrischendes und Amüsantes:

Eine kleine Buchhandlung im Londoner Stadtteil Mayfair. Mrs. Annetta Robington hat sich in einem faszinierenden Buch über Pinguine festgelesen und darüber die Zeit vergessen. Beim Verlassen des Ladens macht sie plötzlich eine unglaubliche Entdeckung: Der Buchhändler ist ein Pinguin! Der alte Herr dementiert, gibt dann aber doch zu: Ja, er ist ein Pinguin – einer von vielen, die meist unerkannt unter den Menschen leben.

Ein Cellist mit buschigen Augenbrauen, ein Portier in vollendeter Haltung, ein Opernbesucher im Frack … Nun sieht Mrs. Robington allerorten Pinguine.

Als das Geheimnis der liebenswerten Species aufzufliegen droht, ist Mrs. Robingtons große Stunde gekommen. Mit einem raffinierten Plan setzt sie alles daran, die Vögel zu retten …