Dienstag, 29. Juli 2014

Welche bekannte Literaturfigur kannst du am wenigsten verstehen und warum?

Was kann eine Literaturfigur tun oder wie könnte sie sein, dass man sie als Leser so gar nicht verstehen kann? Da gibt es je nach Leser vermutlich die verschiedensten Möglichkeiten. Manch einer kann wahrscheinlich nicht nachvollziehen, dass sich Emma Bovary lieber umbringt als ein spießbürgerliches Leben zu führen. Andere finden es vermutlich absolut abwegig, wie Tony Buddenbrook einen verabscheuten Mann zu heiraten, obwohl man einen anderen liebt.
Einige für uns kaum nachvollziehbare Handlungen oder Verhaltensweisen von Protagonisten ergeben sich aus den von unseren heutigen sehr verschiedenen Zeit- und Lebensumständen. Standesschranken oder Ehrverletzungen und was sie für das Leben in früheren Zeiten bedeuteten, können wir uns heute nicht mehr unbedingt vorstellen. Und deshalb können wir Handlungsweise, die daraus resultieren, eventuell auch nicht mehr so ganz verstehen.
Interessanter allerdings ist das Verhalten einer Literaturfigur, das uns unabhängig von Zeit- oder Lebensumständen Kopfzerbrechen bereitet. Eine solche Figur ist für mich Claire Zachanassian aus Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“. Verbittert durch das, was ihr im Leben widerfahren ist, kehrt sie in ihre Heimatstadt zurück, um Rache zu nehmen. Rache an demjenigen, der ihr damals Schlimmes angetan hat, und an denen, die es einfach zuließen.
Im Laufe der Zeit hat sie ihren Racheakt ausführlich vorbereitet, um ihn jetzt ebenso ausführlich auskosten zu können. Ihr ganzes Leben hat sie also der Vergeltung für das ihr widerfahrene Unrecht untergeordnet. Und auf diese Weise hat sie, wie ich finde, der Zerstörung ihres Lebens durch andere nicht etwa die Stirn geboten, sondern sie nur weiter vorangetrieben.
Natürlich weiß ich nicht, wie ich oder jemand anderes an Claires Stelle handeln würde oder gehandelt hätte. Aber dass Rache vermutlich nicht der geeignete Weg ist, über einen Schicksalsschlag hinwegzukommen, erscheint mir durchaus nachvollziehbar. Und wie man sich aus der Zerstörung eines anderen Lebens so viel Genugtuung erhoffen kann, dass man diesem Ziel sein ganzes Leben opfert, kann ich nicht verstehen. Vermutlich gibt es aber auch Leser, die da ganz anderer Meinung sind, oder?
Meine Kandidatin für den Posten eines kaum zu verstehenden Bücherhelden: Claire Zachanassian. Und Deiner?

Mittwoch, 23. Juli 2014

Welche bekannte Literaturfigur kannst du besonders gut verstehen und warum?

Dass man als Leser die in einem Buch handelnden Figuren verstehen kann, ist sicher das Bestreben eines jeden Autors. Sind Verhaltensweisen überhaupt nicht nachvollziehbar, so wird die Geschichte vermutlich nur wenige begeistern. Wichtig für das Verständnis ist dabei, dass sich die Protagonisten so geben, wie es für ihren Charakter, ihr Wesen und die Umstände ihres Lebens glaubwürdig ist. Gelingt einem Schriftsteller dies, so kann der Leser seine Figuren und ihr Verhalten nachvollziehen.
Auf die Frage nach einem Protagonisten, dessen Dilemma besonders gut zu verstehen ist, können einem sicher so einige Literaturfiguren einfallen. Beim Durchforsten meines Bücherregals blieb ich bei Jane Austens „Verstand und Gefühl“ hängen. Elinor Dashwood repräsentiert in diesem Roman den im Titel beschworenen „Verstand“ und tut sich dabei nicht gerade leicht. Auch ihre Schwester Marianne hat mit ihrem Part, dem „Gefühl“, einige Probleme. Doch da sie das, was in ihr vorgeht, meist offen äußert, kommt es bei ihr zu deutlich weniger Mißverständnissen.
Elinor dagegen behält ihre Gefühle und Sorgen ausschließlich für sich. Sie vertraut sich ihrer Familie nicht an, so dass sie mit ihren Problemen allein fertig werden muss und alles von den Schwierigkeiten der Schwester überlagert wird. Und da sie sich auch dem Mann gegenüber, den sie liebt, so gar nichts anmerken läßt, entstehen zwischen den beiden immer wieder Mißverständnisse, die sie nicht zusammenkommen lassen.
Den Wunsch, eine Fassade aufrechtzuerhalten und sein Inneres auf keinen Fall zu zeigen, kann man, wie ich finde, in der heutigen Zeit besser denn je verstehen. Da jede Schwäche meist gnadenlos ausgenutzt wird, haben die meisten den Drang, möglichst wenig davon zuzugeben. Die Angst verletzt zu werden und angreifbar zu sein, ist vermutlich noch stärker als früher. Wer könnte also Elinor nicht verstehen, die bei jedem Versuch sich zu offenbaren von den kleinsten Widrigkeiten zurückgehalten und so sogar beinahe um ihr Lebensglück gebracht wird?
Aber vielleicht gibt es ja auch heute noch Menschen, die Mariannes Weg der absoluten Offenheit und Impulsivität gehen und nicht vor jedem Schritt lange darüber nachdenken, was er eventuell für Folgen haben könnte. Sie kann Elinors Verhalten zu keinem Zeitpunkt verstehen und so mancher Leser wahrscheinlich auch nicht. Jane Austen entwarf eben für jeden Geschmack einen nachvollziehbaren Charakter.
Meine Kandidatin für den Posten eines gut zu verstehenden Bücherhelden: Elinor Dashwood. Und Deiner?

Donnerstag, 17. Juli 2014

Welche bekannte Literaturfigur findest du besonders unattraktiv und warum?

Auch bei dieser Frage denke ich sofort an die Männer. Ich bin eben doch in erster Linie eine Frau und sehe Literaturfiguren auch aus einem weiblichen Blickwinkel. Aber vielleicht findet sich ja unter den Lesern dieses Blogs ein Mann, der zum Thema „unattraktive Protagonistinnen“ einen Beitrag leisten kann und will. Mal sehen.
Mir jedenfalls fällt erstaunlicherweise die Beanwortung der Frage nach einer unattraktiven Literaturfigur leichter als die nach einer attraktiven (siehe letzter Post). Nahezu sofort habe ich einen geeigneten Kandidaten gefunden: Bendix Grünlich aus Thomas Manns „Buddenbrooks“. Schon die erste Beschreibung seines Äußeren ist mehr als unattraktiv: „Sein Gesicht, unter dem hellblonden, spärlichen Haupthaar war rosig und lächelte; neben dem einen Nasenflügel aber befand sich eine auffällige Warze. [...] Schon von weitem vollführte er mit seinem großen, hellgrauen Hut eine Gebärde der Ergebenheit.“
Spärliches Haar, ein rosiges Gesicht und eine auffällige Warze sind, meiner Meinung nach, nicht gerade Attribute, die die Attraktivität eines Mannes unterstreichen. Und Thomas Mann wollte das natürlich auch nicht. Ergebenheit ist zudem nicht die männlichste aller Eigenschaften und damit ebenfalls ziemlich unattraktiv.
Was den guten Herrn Grünlich letztendlich aber definitiv aus dem Rennen um den Posten eines wirklich ansprechenden Mannes wirft, ist die Aufdringlichkeit und Intriganz, mit der er sich um Tony Buddenbrook bemüht. Nach der Hochzeit stellt sich dann allerdings schnell heraus, dass nicht einmal wahre Gefühle, sondern einzig und allein die Aussicht auf die Mitgift der Grund für sein Werben waren. Auch nicht gerade besonders attraktiv.
Grünlich ist also nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich ein extrem abstoßender Zeitgenosse, was vermutlich keine Frau, die Thomas Manns „Buddenbrooks“ liest, anders sehen würde. Insofern eignet er sich hervorragend als unattraktivste Literaturfigur aller Zeiten. Oder gibt es vielleicht noch eine, die ihn toppen könnte? Ich bin gespannt...
Mein Kandidat für den Posten eines besonders unattraktiven Bücherhelden: Bendix Grünlich. Und Deiner?

Freitag, 11. Juli 2014

Welche bekannte Literaturfigur findest du besonders attraktiv und warum?

Gar nicht so einfach. Über die Attraktivität von Literaturfiguren habe ich mir noch nicht besonders viele Gedanken gemacht. Natürlich denke ich jetzt sofort an die männlichen Protagonisten, die mir in all den Büchern, die ich in meinem Leben gelesen habe, so unterkamen. Vielleicht könnte ich auch über attraktive Heldinnen nachdenken, aber schon die Männer bereiten mir genügend Kopfzerbrechen. Wie im richtigen Leben...
Ein attraktiver Mann also. Nun gut, in den zeitgenössischen Frauenromanen sind irgendwie die meisten Männer attraktiv. Das gehört schließlich zum Konzept dieses Genres. Doch erstens lese ich nicht besonders oft solche Bücher und zweitens bleibt die Attraktivität eines Mannes gerade aus Frauensicht ja immer noch Geschmackssache. Und die manchmal etwas plakativen Protagonisten in der Frauenliteratur sind dann doch nicht so ganz mein Geschmack.
Aber dann fällt mir doch einer ein. Keiner aus der zeitgenössischen und auch keiner aus der Frauenliteratur. Eher im Gegenteil. Karl Moor aus Friedrich Schillers „Die Räuber“. Vielleicht hängt mein Faible für ihn damit zusammen, dass ich von diesem Stück einmal eine Aufführung mit einem extrem ansehnlichen Hauptdarsteller gesehen habe. Aber die Figur ist von Schiller schon auch so angelegt: idealistisch, charismatisch, rebellisch und leidenschaftlich. Alles ziemlich attraktive Eigenschaften für einen Mann, wie ich finde.
Ein Räuber. Eigentlich eine unglaublich archaische Vorstellung vom Idealbild eines Mannes. Aber schließlich sprechen wir hier einzig und allein von Attraktivität. Und die hat ja auch irgendwie etwas Oberflächliches. Karl Moors Attraktivität setzt sich für mich aus seiner Unangepasstheit und seiner Leidenschaft zusammen. Dass ich, als Frau, mit ihm vermutlich keinen Tag zusammenleben könnte, was ja auch im Stück seiner Geliebten Probleme bereitet, steht auf einem anderen Blatt. Aber abgesehen davon ist mein Bild von ihm als Mann zunächst einmal äußerst ansprechend.
Mein Kandidat für den Posten eines besonders attraktiven Bücherhelden: Karl Moor. Und Deiner?