Ein Roman, der
mich in meiner Jugend ebenfalls extrem beeindruckt hat, war „Der Steppenwolf“
von Hermann Hesse. Und das lag mit Sicherheit vor allem an der Darstellung der
Hauptfigur Harry Haller. Die Zerrissenheit seiner Persönlichkeit bietet dem
Leser sehr viel Raum für die eigene Identifikation. Denn wer kennt das Gefühl
nicht, zwischen verschiedenen Welten hin-und hergerissen zu sein und sich nur
schwer für eine von zwei gegensätzlichen Vorstellungen entscheiden zu können?
Nach außen
versucht Harry, sich den Umgangsformen der bürgerlichen Gesellschaft
anzupassen, in seinem Inneren ist er allerdings mit den Wertvorstellungen eben
dieser Gesellschaft nicht einverstanden. Für ihn ist die bürgerliche
Vorstellung von Moral und Werten zu oberflächlich, was ihn in der heutigen Zeit
wieder besonders aktuell erscheinen lässt. Wie ich finde, macht ihn vor allem
sein innerer Widerstand gegen das mangelnde Bewusstsein der Gesellschaft
ziemlich sympathisch.
Er ist
ein Mensch, der in eine Zeit hineingeboren wurde, zu der er seiner Meinung nach
nicht passt. Er ist gegen Krieg und muss doch in der Zeit zwischen zwei Kriegen
leben. Er verabscheut das Konsumtreiben und lebt doch in einer Welt, in der
Konsum für die meisten Menschen immer wichtiger wird. Gerade bei diesen Themen
kann man sich in unserer Zeit als bewusster Mensch auch schon mal ein wenig
fehl am Platz vorkommen.
Seine
sozial- und kulturkritische Seite macht Harry Haller zur idealen
Identifikationsfigur für alle, die ebenfalls an der Oberflächlichkeit der
Gesellschaft, in der sie leben, leiden. Dass er trotz massiver Schwierigkeiten
innerlich an seinen Idealen festhält und in der Hauptsache durch Musik und
Dichtung Freude empfindet, weckt vermutlich das Interesse des einen oder
anderen Künstlers.
Lediglich
den erwogenen Ausweg aus seiner Misere, den Harry in einem Selbstmord an seinem
50. Geburtstag sieht, halte ich für nicht besonders vorbildhaft. Denn eine
Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse erreichen wir vermutlich am
wenigsten durch Flucht und den Rückzug aus der Öffntlichkeit.