Was
und wie eine Romanfigur denkt, weiß zunächst einmal nur ihr Erfinder, der
Autor. Aus ihren Gedanken und ihrer ganzen Denkweise ergeben sich dann ihre
Handlungsweisen, Aktionen und Reaktionen. Das Denken eines Protagonisten ist
demnach immens wichtig für eine Geschichte und ihren Verlauf.
Das
ist sicher richtig. Doch in letzter Zeit erlebe ich selbst beim Schreiben immer
wieder, dass man als Schriftsteller den Gedanken einer Figur, meistens der
Hauptfigur, auch zu viel Gewicht geben kann. Denn die inneren Vorgänge einer
Figur sind zwar entscheidend für ihr Verhalten, sie dürfen jedoch, meiner
Erfahrung nach, im Text nicht zu ausführlich vorkommen.
Die
Gedanken eines Protagonisten sind mit Sicherheit interessant und an einigen
Punkten der Geschichte auch unheimlich wichtig. Doch in den Textteilen, in
denen lediglich gedacht wird, passiert außerhalb der Person nichts. Und wenn
außerhalb nichts passiert, wird das Lesen auf die Dauer auch dem
intellektuellsten Leser langweilig.
Innere
und äußere Vorgänge müssen in einem Unterhaltungsroman in der
richtigen Relation stehen, die vermutlich so aussieht, dass das Erstere
deutlich weniger oft vorkommen darf als das Zweitere. Wahrscheinlich kann man
das nicht unbedingt so pauschal sagen, aber im Großen und Ganzen trifft die
Aussage wohl auf die meisten erfolgreichen Romane der letzten Jahre zu.
Denn, wenn sich das Verhalten einer Romanfigur
aus ihrem Denken ergibt, werden durch ihre Aktionen und Reaktionen auch ihre
Gedanken deutlich. Der Leser kann sich innere Vorgänge also durchaus aufgrund
manch äußerer Vorgänge erschließen. Das funktioniert vermutlich nicht immer.
Aber das muss es ja auch nicht. Schließlich kann kein Leser ein ernsthaftes
Interesse daran haben, dass das, was es im Filmbereich schon lange gibt, auch
in der Literatur Einzug hält: Action-Bücher, in denen nur noch gehandelt und
überhaupt nicht mehr gedacht wird.
Wir
Schriftsteller müssen also, wie so oft, die richtige Relation zwischen inneren
und äußeren Vorgängen in unseren Geschichten finden. Und die ist vermutlich von
Buch zu Buch, von Autor zu Autor und von Genre zu Genre verschieden…
Wie
wichtig ist eigentlich der Wohnort einer Hauptfigur? Nun ja, oft ist vermutlich
ihr Wohnort auch gleichzeitig der Ort, an dem die Geschichte spielt. Falls der
Protagonist nicht gerade auf Reisen ist, findet die Handlung wahrscheinlich
hauptsächlich an dem Ort statt, an dem die meisten der handelnden Personen auch wohnen.
Das
kann ein Phantasieort sein oder eine reale Stadt oder ein reales Dorf. Doch was
macht in beiden Fällen die Vor- oder Nachteile für die Geschichte, den Autor
oder auch den Leser aus? Erfindet der Schriftsteller einen vollkommen fiktiven
Ort, so kann er diesem Ort natürlich nach Gutdünken jede Eigenschaft verleihen,
die er für seine Geschichte haben möchte. Das ist praktisch.
Der
Nachteil jedoch ist, dass er im umgekehrten Fall auch auf nichts Existentes
zurückgreifen kann. Siedelt man seinen Roman in einer Stadt an, die es wirklich
gibt, dann kann man als Schriftsteller auf reale Stadtteile, Straßen, Plätze,
ja sogar Geschäfte oder Bauwerke Bezug nehmen. Das vereinfacht die Sache
eventuell. Außerdem mögen es die Leser vielleicht auch mal ganz gerne, ihnen
bekannte Orte in der Geschichte vorzufinden. Da kann man sich schließlich dann
ganz genau vorstellen, wie es dort aussieht.
Allerdings
muss ein Schriftsteller, wenn er damit rechnen muss, dass seine Leser die
erwähnten Orte selbst kennen oder noch kennenlernen könnten, viel gründlicher
recherchieren, wenn er den einen oder anderen realen Platz in seinem Text
beschreiben will. Nichts ist peinlicher, als eine Tatsache, die jederzeit überprüft
werden kann, in einem Buch falsch zu behaupten. Also muss man sich eventuell
vor Ort selbst ein Bild machen.
Dann
ist es natürlich am einfachsten, seine Geschichten in der eigenen Heimat
anzusiedeln. Das machen vermutlich auch nicht wenige Autoren. Jedoch kommt man
dann unter Umständen um eine interessante Recherchereise in eine andere Stadt
oder vielleicht sogar in ein anderes Land. Doch diese muss man sich natürlich
erst einmal leisten können…
Welche
Geschichte hat die perfekte Hauptfigur? Was hat sie bereits vor Beginn des
Romans hinter sich? Welche Erfahrungen hat sie gemacht? Von welcher
Vergangenheit also werden sie und ihr Verhalten bestimmt? Die perfekte
Geschichte eines Protagonisten gibt es mit Sicherheit nicht. Wichtiger als die
Form der Vergangenheit ist auf jeden Fall immer ihr Vorhandensein. Jede
Hauptfigur braucht eine Geschichte und diese sollte im Idealfall schon vor
Entstehung der Romanhandlung festgelegt werden.
Beim Schreiben meines ersten Romans habe ich
zunächst, aus Unwissenheit, die Hintergründe meiner Protagonistin Marie
ziemlich vernachlässigt. Das führt unweigerlich zu Widersprüchen bei Verhalten
und Reaktionen der Figuren. Im Endeffekt macht es auf Dauer deutlich mehr
Arbeit und erschwert außerdem die Findung der Romanhandlung, weil man in der
Geschichte immer wieder hin und her springen muss, um Aussagen an andere
anzugleichen.
Die
Geschichte und das Umfeld einer Hauptfigur sollte also in jedem Fall zu Beginn
der Arbeit an einem Roman festgelegt werden. Natürlich hängt die Vergangenheit
eines Protagonisten auch oft von der zu entwerfenden Handlung ab. Das klingt
komisch, ist aber so. Schließlich beeinflusst das bisherige Leben der Figuren
ihren Umgang mit verschiedenen Situationen. Ich als Schriftsteller muss mir
demnach beim Entwurf der Vergangenheit der Protagonisten schon überlegen, wie
sie am einen oder anderen Punkt später reagieren sollen.
Das
ist wahrscheinlich nicht ganz so kompliziert wie es sich anhört. Schließlich
weiß der Autor, wenn er die Arbeit an einem Roman beginnt, meistens schon, wie
seine Geschichte verlaufen und wahrscheinlich auch, wie sie enden soll. Er
(oder sie) wird sich also die Vergangenheit seiner Hauptfigur einfach so
„zurechtbiegen“, wie er sie für die spätere Entwicklung benötigt. Und sollte
sich mit Fortschreiten der Geschichte die eine oder andere Änderung auf diesem
Gebiet ergeben, kann man ja immer noch zurückspringen und den Anfang angleichen.
Bei
einer Fernsehserie erlebt man es ab und zu, dass zu einem späteren Zeitpunkt
plötzlich eine uralte (jetzt aber notwendige) Episode aus dem Hut gezaubert
wird, von der vorher nie die Rede war. Da hat es der Schriftsteller einfacher,
weil er, solange der Roman noch nicht abgeschlossen ist, an jedem Teil der
Geschichte immer wieder Dinge ändern kann. Und das sollte man dann auch tun,
bevor es unlogisch wird…
Neben
den inneren, den charakterlichen Eigenschaften der perfekten Hauptfigur stellt
sich natürlich auch die Frage nach ihren äußeren, also den optischen
Eigenschaften. Wie sieht die perfekte Hauptfigur eigentlich aus? Gibt es da irgendwelche
objektiven Anhaltspunkte, an denen man sich als Schriftsteller orientieren kann?
Sollte
ein Protagonist gut oder eher nicht so gut aussehen? Sollte er besser attraktiv
oder lieber unattraktiv sein? Abgesehen davon, dass es zu diesem Thema mit
Sicherheit keine allgemeingültigen Vorgaben geben kann, hängt das Aussehen der
perfekten Hauptfigur vermutlich auch ein wenig vom Genre des entsprechenden
Buches ab.
Kann
sein, dass ich mit meiner Meinung da ziemlich allein bin, aber mein Eindruck ist,
dass die meisten Protagonisten in zeitgenössischen Romanen eher gutaussehend
sind. Ob Mann oder Frau, ob Haupt- oder Nebenfigur – unattraktive Romanfiguren
haben in der heutigen Zeit kaum Konjunktur. Na klar, wenn man schon als Autor
alle Fäden in der Hand hat und somit auch das äußere Erscheinungsbild seiner
Figuren komplett eigenständig bestimmen kann, wäre man ja blöd, seine Figuren nicht im
Großen und Ganzen ansehnlich, also attraktiv zu gestalten.
Das
läuft nicht anders als in den meisten Fernsehfilmen. Ob Rosamunde Pilcher, Inga
Lindström oder sonst eine Schmonzette – alle Personen sehen immer gut aus. Und
wenn sie nicht gut aussehen, so sind sie mit Sicherheit intrigant, deppert oder
fies und bleiben am Ende der Geschichte allein zurück. Nehmen wird die Heldin
oder der Held schließlich immer den gutaussehenden Kandidaten.
Nun
ist das bei Filmen wahrscheinlich noch deutlich öfter der Fall als bei Romanen.
Doch auch in der heutigen Unterhaltungsliteratur gibt es mehr schöne als
hässliche Menschen. Für Gegenbeispiele wäre ich jederzeit dankbar. Vermutlich
ist es aber auch hier so wie bei den Charaktereigenschaften der Figuren. Je
ambivalenter oder vielschichtiger das Aussehen eines Protagonisten ist desto
realistischer und interessanter.
Manche
Autoren sagen auch sehr wenig bis gar nichts über das Aussehen ihrer Figuren
und überlassen es dem Leser, wie er sie sich vorstellt. Dabei stellt sich die
Frage, wie wichtig das äußere Erscheinungsbild der Protagonisten für eine
Geschichte ist. In den meisten Fällen wahrscheinlich nicht so wichtig. Im
Gegensatz zum Film kommen Romane auch gerne mal ohne Äußerlichkeiten aus. Ob
einem das lieber ist, muss jeder Rezipient selbst entscheiden…