Braucht
die perfekte Hauptfigur eigentlich Hobbys? Pauschal kann man diese Frage
natürlich nicht beantworten. Schließlich wird es auch sehr viel über eine Figur
aussagen, wenn sie keine Hobbys hat. Vielleicht lebt sie nur für ihren Beruf,
vielleicht aber auch ganz und gar für die Familie. Falls sie wirklich überhaupt
keine darüber hinausgehenden Interessen kennt, deutet das eindeutig darauf hin,
dass sie zu wenig auf sich und ihre Bedürfnisse achtet. Und das ist sogar eine ziemlich starke
Aussage.
Doch
wie die meisten realen Menschen haben vermutlich auch viele Literaturfiguren
ein Hobby, eine Leidenschaft oder wenigstens private Interessen. Naheliegend
ist dabei natürlich eine Sportart oder ähnliches. Schließlich betreiben viele
Menschen auch in der Realität einen Sport - sei es aus gesundheitlichen oder
spaßsuchenden Gründen. Die Art der Ertüchtigung sagt dabei einiges über den
Charakter des Menschen aus.
Jemand,
der allein joggt, hat privat vermutlich weniger Bedürfnis nach Gesellschaft als
jemand, der Fußball spielt. Und jemand, der Leichtathletik betreibt, verspürt
wohl mehr sportlichen Ehrgeiz als jemand, der Yoga macht. Sicher ist ein Hobby
auch oft ein bewusst gewählter Ausgleich zum Berufsalltag, was man als
Schriftsteller berücksichtigen sollte.
Ein
bei Literaturfiguren ebenfalls gern genommenes Hobby, falls man es so nennen
kann, sind Haustiere. Ihre Art oder Rasse sagt nicht nur einiges über ihren
Besitzer aus, Tiere eignen sich auch hervorragend als Reflektionsfläche für die
jeweilige Figur. Mit der Katze, dem Hund oder dem Wellensittich bespricht man
so manches, das man einem Bekannten oder sogar Freund nie anvertrauen würde.
Äußerst praktisch für uns Autoren.
Natürlich
eignen sich Haustiere nicht als Beschäftigung für jede Art von Protagonisten.
Ein Sauberkeitsfanatiker wird sich genauso wenig einen schmutzenden, haarenden
Mitbewohner aussuchen wie ein Allergiker oder Faulenzer. Letzterer würde
allerdings auch kaum irgendeinen Sport betreiben. Vielleicht würde er viel fernsehen
oder Musik hören.
Den
Freizeitbeschäftigungen unserer Protagonisten sind also keine Grenzen gesetzt.
Außer vielleicht die der Fachkenntnisse des Autors. Doch davon sollte man sich
auf keinen Fall abhalten lassen, auch mal etwas Ausgefallenes zu wählen.
Recherche kann nämlich für einen Schriftsteller äußerst bereichernd sein…
Wo
die perfekte Hauptfigur leben könnte, wurde an dieser Stelle bereits
thematisiert. Doch wie lebt sie? Wie sieht es in ihrer Wohnung aus? Welche
Einrichtung hat sie? Welche Möbel? Ist sie chaotisch oder eher ordentlich?
Wohnt sie mit anderen zusammen oder allein? Ist sie oft zu Hause oder eher
selten, also viel unterwegs?
„Zeig
mir deine Wohnung und ich sage dir, wer du bist“ lautet ein bekanntes
Sprichwort. Das ist vielleicht überspitzt formuliert, gilt aber in gewissem
Sinn auch für Literaturfiguren. Über die Beschreibung von Aussehen und Zustand der Wohnung kann man
als Schriftsteller sicher einiges über einen Protagonisten aussagen.
Wahrscheinlich
darf man es dabei nicht übertreiben, genau wie bei Aussehen oder Gedanken. Schließlich
geht es in erster Linie um eine Geschichte. Zu viele Beschreibungen lenken
vermutlich nur unnötig von der Handlung ab. Doch sollte man das äußere Umfeld
der Figuren auch nicht unterschätzen. Und da der Leser bei der Einschätzung
auch auf die Informationsvergabe durch den Autor angewiesen ist, können ein
paar Beschreibungen der Wohnsituation sicher nicht schaden.
Unterscheiden
muss man in diesem Zusammenhang zwischen wichtigen und unwichtigen Details.
Natürlich kann man als Schriftsteller auch einmal etwas erwähnen, das im
Verlauf der Handlung keinerlei weitere Bedeutung haben wird. Im Großen und
Ganzen jedoch sind es die Umstände, die etwas über die Protagonisten und ihren
Charakter aussagen, die für eine gute Geschichte entscheidend sind.
Ein
eher nüchterner, sachlicher Charakter wird seine Wohnung vermutlich klar und
steril halten. Metall und Farblosigkeit könnten dabei eine Rolle spielen. Eine
verspielte Person hat wahrscheinlich viele Kleinigkeiten, verschiedene
Stilrichtungen und dekorative Elemente in den eigenen vier Wänden. Bei den
Materialien wird sie Stoffe, Holz und Farben bevorzugen. Gesetzt den Fall,
mehrere Personen teilen sich eine Behausung, sei es eine Wohngemeinschaft, ein
Paar oder eine Familie, gilt es zu berücksichtigen, wer sich wohl an welcher
Stelle der Wohnung eingebracht hat.
Wie
bei jedem Aspekt der perfekten Hauptfigur, kann man auch die Umgebung der
Protagonisten mit dem oder gegen den Strich bürsten. Auch hier können
„geschlechtertypische“ Vorlieben bedient oder gerade nicht bedient werden. Frauen
können karge, nüchterne und Männer liebevoll dekorierte Gemächer bewohnen. Je
nachdem was zu ihrem Charakter passt…
Mit
das wichtigste an einer guten Romanfigur, vor allem einer Hauptfigur, ist ihre
Entwicklung. Findet im Laufe der Geschichte keine Entwicklung statt, so wird
die Figur vermutlich ziemlich schnell uninteressant. Ein Protagonist, der sich
nicht verändert, also zum Beispiel nichts dazulernt, ist nur die Hälfte, wenn
nicht sogar noch weniger, wert.
Was
aber ist bei dieser Entwicklung wichtig? Die Entwicklung einer Figur im Laufe
der Geschichte ergibt sich zunächst einmal aus den Erfahrungen, die sie in
dieser Zeit macht. Je nachdem, ob ihr Gutes oder Schlechtes widerfährt, ob sie
enttäuscht, ermutigt oder bestätigt wird, wird sie sich in ihrer Zukunft anders
oder ähnlich verhalten.
Dabei
ist es wahrscheinlich auch nicht ganz unerheblich, ob ihre Reaktionen auf die
einzelnen Erlebnisse glaubwürdig sind oder nicht. Natürlich kann eine Figur
auch mal ganz anders handeln als man es als Leser erwartet. Das ist vermutlich
sogar interessanter als der gegenteilige Fall. Doch muss ihre Reaktion dabei
für den Leser unbedingt nachvollziehbar bleiben.
Die
Glaubwürdigkeit ergibt sich dabei aus dem Charakter und der Vergangenheit des
Protagonisten. Je nachdem wie er angelegt ist, muss er sich auch entwickeln. Es
hat also nicht jede Figur grundsätzlich die Voraussetzung für jede Art von
Entwicklung. Das darf man als Autor nicht aus den Augen verlieren.
Manchmal
hat man als Schriftsteller das Gefühl, die Romanfiguren würden sich ohne das
eigene Zutun entwickeln. Dann ergibt sich jeder weitere Schritt aus dem
vorangegangenen. Das erleichtert das Schreiben durchaus, kann aber auch
gefährlich sein. Denn dabei sollte man die Hintergründe und die Vergangenheit der entsprechenden
Protagonisten auf keinen Fall aus dem Auge verlieren. Sie könnten sonst eventuell an Glaubwürdigkeit
verlieren oder sogar komplett aus dem Ruder laufen.
Figuren,
die ein Eigenleben entwickeln, muss man also immer wieder „zur Raison rufen“,
wenn sie sich nicht auf eigene Faust in eine vielleicht etwas falsche Richtung
verändern sollen. Ihre Entwicklung ist wichtig, sollte aber nicht auf Teufel
komm raus sozusagen „übers Knie gebrochen“ werden.
Ein
für mich auch immer wieder nicht ganz einfacher Aspekt von Romanfiguren ist
ihre Sprache. Sie kann nicht nur Ausdruck des Landes oder der Region sein, aus
der die Person kommt. In der Sprache können sich auch der Stand, der Beruf, das
Alter oder auch Teile des Charakters niederschlagen. Deshalb ist sie ebenfalls
wichtig für das Bild, das der Leser von den Protagonisten bekommt.
Doch
in der Sprechweise einer Figur auch Teile ihrer Persönlichkeit auszudrücken,
ist, wie ich finde, nicht ganz einfach. Das Ganze sollte nämlich nicht zu
plakativ und trotzdem verständlich rüberkommen. Die Holzhammer-Methode eignet
sich demnach an dieser Stelle nicht so gut. Falls es in einem Roman überhaupt
etwas gibt, wo sie sich eignet…
Als
ich anfing, Romane zu schreiben, erfuhr ich von meiner ersten Lektorin, dass
sich Dialekte in einem Roman nicht unbedingt so gut machen. Deshalb liest man
sie vermutlich auch eher selten. Mit anderen Färbungen der Sprechweise von
Figuren verhält es sich nicht unbedingt so.
Was
das Alter betrifft, zum Beispiel, sollte man sich als Autor beim Schreiben
immer wieder bewusst machen, dass es dabei recht große Unterschiede gibt. Ein
Jugendlicher spricht heute anders als seine Eltern und erst recht seine
Großeltern. Doch auch bei der Jugendsprache muss man sich, so man das will, vor
Klischees schützen. Wir Älteren können nicht unbedingt sofort beurteilen, was
die Jüngeren tatsächlich verwenden, und was nur lustige Gerüchte sind. Die Wahl
zum Jugendwort des Jahres 2015 beweist das wieder einmal…
Ein
weiterer wichtiger Aspekt ist der Bildungsstand. Auch der sollte sich in der
Sprache unserer Figuren niederschlagen, allerdings dabei auch nicht zu
klischeehaft sein. Manchmal sind Nuancen besser als zu plakative Wörter und
Ausdrücke. Auch in diesem Punkt können wir unseren Lesern vertrauen. Sie nehmen
mehrheitlich auch Details wahr und brauchen keine allzu deutlichen Erklärungen
und Verweise. Und vielleicht ist es bei der Sprache von Romanfiguren auch so
wie bei den Requisiten eines Films: Sie ist am besten, wenn sie nicht zu sehr
hervorsticht, sondern im Unterbewussten einen bestimmten Eindruck erzeugt.