Freitag, 30. November 2018

Alle Jahre wieder...

Morgen ist es wieder soweit: der Bücherhelden-Adventskalender startet!

Ab 1. Dezember findet Ihr in meinem Blog wieder, wie in den vergangenen Jahren, jeden Tag eine Frage zu berühmten Literaturfiguren. Einige Buchstaben der richtigen Antworten ergeben in der angegebenen Reihenfolge an Weihnachten den Ausspruch eines bekannten zeitgenössischen Schweizer Schriftstellers.

Viel Spaß beim Türchen-Öffnen!

Mittwoch, 28. November 2018

Von Harry Haller und der Gesellschaft

Ein Roman, der mich in meiner Jugend ebenfalls extrem beeindruckt hat, war „Der Steppenwolf“ von Hermann Hesse. Und das lag mit Sicherheit vor allem an der Darstellung der Hauptfigur Harry Haller. Die Zerrissenheit seiner Persönlichkeit bietet dem Leser sehr viel Raum für die eigene Identifikation. Denn wer kennt das Gefühl nicht, zwischen verschiedenen Welten hin-und hergerissen zu sein und sich nur schwer für eine von zwei gegensätzlichen Vorstellungen entscheiden zu können?
Nach außen versucht Harry, sich den Umgangsformen der bürgerlichen Gesellschaft anzupassen, in seinem Inneren ist er allerdings mit den Wertvorstellungen eben dieser Gesellschaft nicht einverstanden. Für ihn ist die bürgerliche Vorstellung von Moral und Werten zu oberflächlich, was ihn in der heutigen Zeit wieder besonders aktuell erscheinen lässt. Wie ich finde, macht ihn vor allem sein innerer Widerstand gegen das mangelnde Bewusstsein der Gesellschaft ziemlich sympathisch.
Er ist ein Mensch, der in eine Zeit hineingeboren wurde, zu der er seiner Meinung nach nicht passt. Er ist gegen Krieg und muss doch in der Zeit zwischen zwei Kriegen leben. Er verabscheut das Konsumtreiben und lebt doch in einer Welt, in der Konsum für die meisten Menschen immer wichtiger wird. Gerade bei diesen Themen kann man sich in unserer Zeit als bewusster Mensch auch schon mal ein wenig fehl am Platz vorkommen.
Seine sozial- und kulturkritische Seite macht Harry Haller zur idealen Identifikationsfigur für alle, die ebenfalls an der Oberflächlichkeit der Gesellschaft, in der sie leben, leiden. Dass er trotz massiver Schwierigkeiten innerlich an seinen Idealen festhält und in der Hauptsache durch Musik und Dichtung Freude empfindet, weckt vermutlich das Interesse des einen oder anderen Künstlers.

Lediglich den erwogenen Ausweg aus seiner Misere, den Harry in einem Selbstmord an seinem 50. Geburtstag sieht, halte ich für nicht besonders vorbildhaft. Denn eine Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse erreichen wir vermutlich am wenigsten durch Flucht und den Rückzug aus der Öffntlichkeit. 

Dienstag, 6. November 2018

Von Emma Bovary und dem Bürgertum

Eine der ersten Identifikationsfiguren meiner Laufbahn als Leserin von „Erwachsenenliteratur“ war die Titelheldin Emma aus Gustave Flauberts Roman „Madame Bovary“.  Dass die Geschichte bei ihrer Erstveröffentlichung im 19. Jahrhundert großes Aufsehen erregte, hängt vermutlich auch damit zusammen, dass die Darstellung der Arztgattin Emma Bovary nicht dem damals vorherrschenden Frauenbild entsprach.
Heute macht die außergewöhnlich hübsche und anmutige Emma auf uns einen etwas anderen Eindruck. In der Enge und Perspektivlosigkeit der bürgerlichen Existenz und der langweiligen Ehe mit einem behäbigen, naiven Landarzt erscheint sie in erster Linie als Opfer einer spießigen und egoistischen Welt, die ihr zu wenig Möglichkeiten eröffnet. Außerdem wird sie von ihren Liebhabern nicht besonders gut behandelt, um nicht zu sagen ziemlich im Stich gelassen.
Die Tatsache, dass Emma sich ganz offensichtlich nicht in ihre Rolle als brave Arztgattin und Mutter fügen will, macht sie aus heutiger Sicht schon fast zu einer emanzipierten Frau. Dass sie in ihrem gesellschaftlichen Ehrgeiz und ihrer romantischen Verklärung dabei die falschen Mittel wählt, lässt sie, meiner Meinung nach, zu einer der großen tragischen Heldinnen der Literatur werden.
Als realistisch gezeichnete Romanfigur hat Madame Bovary sowohl gute als auch schlechte Seiten. Sie ist hübsch, selbstbewusst, interessiert an Musik und Literatur und strebt nach Höherem. Im Gegensatz zu ihrem langweiligen, durchschnittlich begabten Ehemann Charles erscheint sie als die deutlich Gewandtere und Idealistischere.
Allerdings ist ihr romantischer Idealismus stark geprägt von Trivialliteratur, was ihr eine gewisse Naivität verleiht. Außerdem kreist sie in ihrem Streben nach Höherem in der Hauptsache um sich selbst und denkt so gut wie gar nicht an ihren Mann oder an ihre Tochter. Ihr Egoismus geht sogar so weit, dass sie ihre Familie in den finanziellen Ruin treibt, um sich mit Luxus von ihrem deprimierenden Leben abzulenken.
Dass sie sich bis zu ihrem tragischen Tod nicht fügen will, macht Emma Bovary zu einer sehr selbstbestimmten Literaturheldin, was in der damaligen Zeit bestimmt nicht gang und gäbe war. Gegen die Wahl ihrer Mittel dagegen kann man in diesem Zusammenhang sicher diverse Einwände haben.