Mittwoch, 28. November 2018

Von Harry Haller und der Gesellschaft

Ein Roman, der mich in meiner Jugend ebenfalls extrem beeindruckt hat, war „Der Steppenwolf“ von Hermann Hesse. Und das lag mit Sicherheit vor allem an der Darstellung der Hauptfigur Harry Haller. Die Zerrissenheit seiner Persönlichkeit bietet dem Leser sehr viel Raum für die eigene Identifikation. Denn wer kennt das Gefühl nicht, zwischen verschiedenen Welten hin-und hergerissen zu sein und sich nur schwer für eine von zwei gegensätzlichen Vorstellungen entscheiden zu können?
Nach außen versucht Harry, sich den Umgangsformen der bürgerlichen Gesellschaft anzupassen, in seinem Inneren ist er allerdings mit den Wertvorstellungen eben dieser Gesellschaft nicht einverstanden. Für ihn ist die bürgerliche Vorstellung von Moral und Werten zu oberflächlich, was ihn in der heutigen Zeit wieder besonders aktuell erscheinen lässt. Wie ich finde, macht ihn vor allem sein innerer Widerstand gegen das mangelnde Bewusstsein der Gesellschaft ziemlich sympathisch.
Er ist ein Mensch, der in eine Zeit hineingeboren wurde, zu der er seiner Meinung nach nicht passt. Er ist gegen Krieg und muss doch in der Zeit zwischen zwei Kriegen leben. Er verabscheut das Konsumtreiben und lebt doch in einer Welt, in der Konsum für die meisten Menschen immer wichtiger wird. Gerade bei diesen Themen kann man sich in unserer Zeit als bewusster Mensch auch schon mal ein wenig fehl am Platz vorkommen.
Seine sozial- und kulturkritische Seite macht Harry Haller zur idealen Identifikationsfigur für alle, die ebenfalls an der Oberflächlichkeit der Gesellschaft, in der sie leben, leiden. Dass er trotz massiver Schwierigkeiten innerlich an seinen Idealen festhält und in der Hauptsache durch Musik und Dichtung Freude empfindet, weckt vermutlich das Interesse des einen oder anderen Künstlers.

Lediglich den erwogenen Ausweg aus seiner Misere, den Harry in einem Selbstmord an seinem 50. Geburtstag sieht, halte ich für nicht besonders vorbildhaft. Denn eine Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse erreichen wir vermutlich am wenigsten durch Flucht und den Rückzug aus der Öffntlichkeit. 

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