Dienstag, 6. November 2018

Von Emma Bovary und dem Bürgertum

Eine der ersten Identifikationsfiguren meiner Laufbahn als Leserin von „Erwachsenenliteratur“ war die Titelheldin Emma aus Gustave Flauberts Roman „Madame Bovary“.  Dass die Geschichte bei ihrer Erstveröffentlichung im 19. Jahrhundert großes Aufsehen erregte, hängt vermutlich auch damit zusammen, dass die Darstellung der Arztgattin Emma Bovary nicht dem damals vorherrschenden Frauenbild entsprach.
Heute macht die außergewöhnlich hübsche und anmutige Emma auf uns einen etwas anderen Eindruck. In der Enge und Perspektivlosigkeit der bürgerlichen Existenz und der langweiligen Ehe mit einem behäbigen, naiven Landarzt erscheint sie in erster Linie als Opfer einer spießigen und egoistischen Welt, die ihr zu wenig Möglichkeiten eröffnet. Außerdem wird sie von ihren Liebhabern nicht besonders gut behandelt, um nicht zu sagen ziemlich im Stich gelassen.
Die Tatsache, dass Emma sich ganz offensichtlich nicht in ihre Rolle als brave Arztgattin und Mutter fügen will, macht sie aus heutiger Sicht schon fast zu einer emanzipierten Frau. Dass sie in ihrem gesellschaftlichen Ehrgeiz und ihrer romantischen Verklärung dabei die falschen Mittel wählt, lässt sie, meiner Meinung nach, zu einer der großen tragischen Heldinnen der Literatur werden.
Als realistisch gezeichnete Romanfigur hat Madame Bovary sowohl gute als auch schlechte Seiten. Sie ist hübsch, selbstbewusst, interessiert an Musik und Literatur und strebt nach Höherem. Im Gegensatz zu ihrem langweiligen, durchschnittlich begabten Ehemann Charles erscheint sie als die deutlich Gewandtere und Idealistischere.
Allerdings ist ihr romantischer Idealismus stark geprägt von Trivialliteratur, was ihr eine gewisse Naivität verleiht. Außerdem kreist sie in ihrem Streben nach Höherem in der Hauptsache um sich selbst und denkt so gut wie gar nicht an ihren Mann oder an ihre Tochter. Ihr Egoismus geht sogar so weit, dass sie ihre Familie in den finanziellen Ruin treibt, um sich mit Luxus von ihrem deprimierenden Leben abzulenken.
Dass sie sich bis zu ihrem tragischen Tod nicht fügen will, macht Emma Bovary zu einer sehr selbstbestimmten Literaturheldin, was in der damaligen Zeit bestimmt nicht gang und gäbe war. Gegen die Wahl ihrer Mittel dagegen kann man in diesem Zusammenhang sicher diverse Einwände haben.

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