Eine
Romanfigur, die sicher vielen von uns bereits in der Schulzeit begegnet ist,
ist Jakob Heym aus Jurek Beckers Buch „Jakob der Lügner“. Auch sie dürfte den
meisten positiv in Erinnerung geblieben sein und ist in Zeiten von Donald Trump
und sozialen Netzwerken vielleicht aktueller denn je. Und das obwohl Jakobs
„Fake News“ im Gegensatz zu den meisten unserer Falschmeldungen deutlich
erfreulichere Auswirkungen haben.
Um
den mit ihm in einem Ghetto lebenden Menschen Hoffnung auf Besserung zu geben,
behauptet Jakob, ein Radio zu besitzen. Da das im Ghetto verboten ist, bringt
er sich mit dieser Lüge in Gefahr, vor allem als sich die Nachricht vom Radio
wie ein Lauffeuer verbreitet. Jakob beweist also großen Mut, um anderen zu helfen.
Mit
seinen angeblichen Informationen vom Vormarsch der Russen und der dadurch
nahenden Befreiung des Ghettos bewirkt Jakob, dass die in Lethargie Verfallenen
wieder neuen Lebensmut schöpfen und die Heißblütigen weniger Risiko eingehen.
Er übernimmt also durch das bewusste Lügen Verantwortung für das Leben anderer. Sein
unauffälliges, fürsorgliches und gewissenhaftes Wesen unterstützt ihn dabei.
Sehr
bald trägt er schwer an dieser Verantwortung, die sich im Grunde über die
gesamte Einwohnerschaft des Ghettos erstreckt. Jeder baut auf Jakob und sein
Radio. So bleibt ihm nichts anderes übrig als immer weiter zu lügen, um seiner
Verantwortung gerecht zu werden. Das Leben vieler Menschen liegt sozusagen in
seinen Händen.
Dass
er mit seiner Verantwortung nicht leichtfertig umgeht, zeigt sich in den
Zweifeln und Gewissensbissen, die ihn immer wieder plagen. Dadurch
unterscheidet er sich ganz deutlich von Donald Trump und Konsorten, die genau
das offensichtlich gar nicht kennen. Das Bewusstsein der eigenen Verantwortung
für andere Menschen, Tiere, Pflanzen, etc. ist etwas, das in unserer Welt immer
wieder fehlt.
Jakob
aber übernimmt Verantwortung. Er hat das nicht geplant oder gewollt, jedoch als
es soweit ist, macht er keinen Rückzieher, sondern stellt sich seiner Verantwortung.
Dieses Verhalten kann auch fast 50 Jahre nach Erscheinen des Romans noch als
Vorbild dienen.
Eine
der beeindruckendsten Romanfiguren der Literaturgeschichte ist für mich der
Anwalt Atticus Finch aus Harper Lees Buch „Wer die Nachtigall stört“. In seiner
absoluten Vorurteilsfreiheit und Rechtschaffenheit ist er ein gelungenes
Beispiel für ganz selbstverständlich praktizierte Menschlichkeit. Als solches
ist er in der heutigen Zeit, vor allem auch in Amerika, wieder aktueller denn
je.
Atticus
Finch ist alleinerziehender Vater und für seine Kinder Freund, Vertrauter,
Lehrer und Autorität zugleich. In Zeiten von Rassismus, Intoleranz und
Vorurteilen schafft er es bravourös, ihnen grundlegende Werte so zu vermitteln,
dass sie diese nicht nur ganz selbstverständlich verinnerlichen, sondern auch deren
Inhalt und Bedeutung verstehen.
Als
Anwalt vereinigt Atticus sowohl Intelligenz als auch einen unerschütterlichen
Gerechtigkeitssinn in sich. Im Gerichtsverfahren gegen den schwarzen
Farmarbeiter Tom Robinson verteidigt er den Angeklagten mit Scharfsinn und Vorurteilsfreiheit,
obwohl er dafür wiederholt angefeindet wird und sich selbst sogar in Gefahr
bringt. Er steht auch in der ausweglosesten Situation für seine Überzeugung ein
und lässt sich in keinster Weise davon abbringen.
Seinen
Kindern vermittelt er ausnahmslose Gewaltlosigkeit und Respekt vor jedem
einzelnen Menschen, auch vor den Außenseitern der Gesellschaft. Dabei lässt er
sich weder von kindlichem Charme noch von der Sturheit seiner Tochter Scout aus
dem Konzept bringen. Trotz aller Geradlinigkeit bleibt er in jeder Lage ruhig
und besonnen und lässt sich nie auch nur im Geringsten provozieren.
Was
aber Atticus Finch in seiner Vorbildhaftigkeit auch noch sympathisch macht, ist
die Tatsache, dass er seine vielen positiven Eigenschaften mit solcher Selbstverständlichkeit
und Unaufdringlichkeit lebt, dass man sich sicher des Öfteren eine Scheibe
davon abschneiden könnte. Somit hat Harper Lee damals eine Romanfigur
geschaffen, die auch nach über 50 Jahren nichts von ihrer Kraft verloren hat
und in unserer heutigen Welt wichtiger wäre denn je.