Samstag, 21. September 2013

Von den Figuren und ihren Veränderungen

Wenn ich meine bisherigen Romanfiguren wie ein Künstler seine fertigen Kunstwerke aus der Distanz betrachte, fallen mir natürlich viele Unterschiede auf. Klar, kein Protagonist ist wie der andere – das ist ja auch durchaus so gedacht. Abgesehen davon zeigt sich aber bei einem Vergleich der Figuren inzwischen, dass auch ich bei der Konzeption offensichtlich eine Entwicklung durchgemacht habe. Und dass einige der Unterschiede zwischen den Protagonisten eine Folge eben dieser Entwicklung sind und sich nicht nur aus deren Biographien ergeben.
Ich weiß nicht, ob das auch anderen Romanautoren so geht, aber ich habe in der Anfangsphase meiner Schreibtätigkeit relativ viele Eigenschaften, Vorlieben und Umstände meiner Figuren aus meinem eigenen Erfahrungsschatz entlehnt. Da ich mit dem Schreiben, Erfinden und Recherchieren noch nicht so vertraut war, wollte ich mir das Ganze dadurch ein wenig erleichtern. Zu aufwendig war es schon, die Einzelheiten der Geschichte, deren Logik und die Richtigkeit aller Details im Griff zu haben. Meine Mitbewohner waren also in manchen Punkten so wie ich oder erlebten ähnliches. Gleich und gleich gesellt sich eben gern.
Deshalb trank meine erste Hauptperson Marie gerne Unmengen von Tee (wie ich), war ihre beste Freundin Alma Journalistin bei einer Zeitung (wie ich früher) und arbeitete Inka in meiner ersten Kurzgeschichte bei einer Filmproduktion (wie ich heute). Das war auch nicht weiter schlimm. Schließlich kennen mich und mein Leben die wenigsten meiner Leser so gut, dass ihnen solche Parallelen auffallen würden. Und selbst wenn... Das würde der Freude an der Lektüre vermutlich keinerlei Abbruch tun.
Nein, meine eigene Kreativität schränkte es eher ein wenig ein. Doch das merkte ich erst einige Zeit später. Als ich nämlich mit meiner zweiten Romanprotagonistin Emma Erfahrungen auf ganz anderen Gebieten machte. Plötzlich war es nicht mehr nur anstrengend, neue und unbekannte Lebensbereiche zu erforschen, sondern auch spannend. Und manchmal sogar lehrreich. Die Hauptfigur Schneiderin, ihr Schwager Arzt, der Freund der Familie Landschaftsarchitekt... Da war plötzlich nicht mehr so viel, was sich mit meinem eigenen Leben deckte. Nun gut, Emmas Nichte war ungefähr so alt wie meine und ihr Schwarm arbeitete beim Film wie ich, aber der Rest...
So sind meine Mitbewohner zunehmend Charaktere mit mir oft unbekannten Eigenschaften, Interessen und Lebensumständen. Und eröffnen mir dadurch immer neue Welten, in die ich durch das Zusammenleben mit ihnen eintauche und die mein eigenes Leben und meinen Horizont durchaus bereichern. „Gleich und gleich gesellt sich gern“ war gestern. Heute gilt: „Gegensätze ziehen sich an“.

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